Stets lesenswert sind Robert Sedlaczeks
Sprachglossen in der Wiener Zeitung, mitunter geraten dort freilich auch mal Kraut und Knödel durcheinander – in einer Glosse unter dem Titel »Fehlt da nicht etwas?« zum Beispiel:
» Der Wiener liebt die Verkleinerung. Wir essen Schwammerln in Rahmsauce, Knöderln mit Kraut, [..] Formal handelt es sich um Verkleinerungsendungen.« |
Das Diminutivsuffix -erl liebt aber nicht bloß der Wiener, das ist im mittelbairischen Sprachraum allgemein gebräuchlich: Schwammerln essen die Bayern genauso wie die Steirer.¹)
»Allerdings ist dieser Genuss neuerdings beeinträchtigt. Immer öfter wird auf das Mehrzahl-n verzichtet.« |
Allerdings geht auch der Wiener nicht erst seit neuerdings keine Schwammerln suchen, sondern geht schon allerweil Schwammerl suchen oder schwammerlsuchen. (In der Kronenzeitung gar mit
Binde-Strich.)
Auf das Mehrzahl-n in Knöderln wird hingegen immer öfter eh nicht verzichtet, insonders
im Internet. (Außer
in der Suppe – denn »Leberknöderlnsuppe kann man nicht sagen!«, frei nach Karl Valentin.)
Gemäß Österreichischem Wörterbuch, dem für Österreich gültigen amtlichen Regelwerk der deutschen Sprache, ist die Diminutiv-Endung -erl in der Pluralform auch mit angefügtem Mehrzahl-n korrekt, welches dort in Klammer angeführt wird: das Schwammerl, Mehrzahl die Schwammerl(n).²)
In der Zeitschrift “Österreich. Geschichte. Literatur. Geographie“ kritisiert nun, wie Sedlaczek berichtet, der anerkannte Orthographie-Experte Hermann Möcker:
»Man steht im Laden und mustert die Regale. Auf einem Glasgefäß steht Gurkerl (!), es sind aber lauter Gurkerln drin. [..] Warum wird dem Gurkerl das Pluralkennzeichen verweigert?« |

Soweit tät’s noch kommen: dass der Wiener im Laden womöglich dem Irrglauben anheimfällt, in dem
Gurkerlglas am Regal wäre nur eins drin, weil dem das Mehrzahl-n verweigert wird.
Beim nächsten Regal mokiert sich Orthographie-Experte Möcker wiederum:
»Einige Meter weiter werden Krautfleckerl und Schinkenfleckerl angeboten, als ob man jeweils nur ein Fleckerl essen dürfe.« |
Na geh – tät’ denn der Wiener, wenn er hört dass es zum Essen Krautfleckerl (Eiernockerl, et al.) gibt, sich gar beklagen: Was, nur eins?
»Da eine klare Unterscheidung zwischen Singular und Plural sinnvoll ist, plädiert Möcker dafür, dass das “Österreichische Wörterbuch“ in Hinkunft alle Wörter auf -erl im Plural mit -erln anführen möge, ohne Klammer« |

Sinnvoll, eh klar – damit in Hinkunft der Wiener beim Billa nicht ratlos mit seinem Wörterbuch vor einem Regal voller Packerln mit
Fleckerln steht und am Ende glaubt, da ist jeweils nur eins drin.
Zurück zu Kraut und Knödeln, durcheinander:
»Verwirrung stiften vermutlich jene Wörter, die wie Verkleinerungsformen aussehen, aber keine sind. “Der Löffel“ und “das Kabel“ haben keine Pluralendung, weil hier der Pluralartikel zur Unterscheidung ausreicht: “die Löffel“, “die Kabel“.« |
Grad die zwei Beispiele, die Sedlaczek hier anführt, sind aber ungeeignet im Kontext mit dem immer öfteren Verzicht auf das Mehrzahl-n. Weil nämlich der Wiener grad denen – obwohl es sich um keine Verkleinerungsformen handelt und auch gemäß Österr. Wörterbuch nicht korrekt ist – umgangssprachlich noch extra eines anhängt: wenn in Wien etwa der Unmut aufwallt, dann »gehn einem die Kabeln auf« (= schwellen einem die Adern), oder es kriegt wer »eins hinter
die Löffeln«.
» [Möcker] weiß sich hier einer Meinung mit Jakob Ebner, dem führenden Lexikographen Österreichs.« |
Möckers Haltung sei ihm sympathisch, so Sedlaczek, aber er wisse auch wie man in der Redaktion des Österr. Wörterbuchs über diese Sache denkt:
» “Das Endungs-n nach -erl schwindet immer mehr, [..] Da das Österreichische Wörterbuch auch an den Schulen verwendet wird, sind wir für sanfte Regeln: Schüler, die auf das -n verzichten, sollen nicht pönalisiert werden.“ So argumentiert Christiane Pabst, die Hauptverantwortliche für das “Österreichische Wörterbuch“.« |
Wie jetzt? Wenn gemäß Österr. Wörterbuch eh beide Endungsformen korrekt sind, wieso sollte dann überhaupt jemand pönalisiert werden, wer auf eine davon wahlweise verzichtet oder nicht? Vergurkerlte Argumentation. Ein anerkannter Orthographie-Experte sowie ein führender Lexikograph wissen sich einer Meinung und plädieren dafür, im Wörterbuch für Österreichisches Deutsch in Hinkunft eine Klammer wegzulassen – deswegen würde aber auch in Hinkunft ja keinem österreichischen Schüler eine Pönale drohen, der in einem Aufsatz dennoch “Gurkerl“ statt “Gurkerln“ schreibt, solang das auch der Duden zulässt.
»Pabst sagt, wenn eine Regel von vielen nicht mehr eingehalten wird, ist sie obsolet.« |
Papa locuta – Causa finita? (Achtung, Namenwitz) – Verkehrsregeln wird sie damit ja wohl keine meinen, darf man annehmen.
»Möcker sagt: Wenn eine Regel vernünftig ist, soll sie bleiben.« |
Was Verkehrsregeln betrifft, darf man dem ohneweiters zustimmen. Anzunehmen, dass sich beide Aussagen auf Orthographieregeln beziehen.
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¹) Überdies ist Schwammerl keine “Dialektbezeichnung“, wie auf
Wikipedia unrichtig dargestellt, sondern Österreichisches Schriftdeutsch.
²)
Im Duden wird das Mehrzahl-n in eckige Klammern gesetzt – Plural: die Schwammerl[n]
Wiktionary führt beide Formen an – Plural 1: Schwammerl, Plural 2: Schwammerln