Dialektologisches

Paretymologisches – Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

G’scherter, bair., österr. = ländlicher Provinzbewohner; bes.: Nichtwiener

»Das Wort Gscherter (auch G’scherter, Gescherter, dialektal Gscheada, zu geschoren) ist ein Schimpfwort, das hauptsächlich im süddeutschen Raum und vor allem in Österreich und Altbayern verbreitet ist. Man will damit einen ungehobelten, derben, nur Dialekt sprechenden bäurischen (nicht in der Stadt Aufgewachsenen), groben [..] Menschen charakterisieren. Gebräuchlich auch als Adjektiv (gschert).«  (Wikipedia)

Eine Erklärung, weswegen im bairischen Sprachgebrauch eine rurale Person angeblich als “Geschorener“ bezeichnet würde, ließe sich laut Wikipedia gar aus einem Text des römischen Historikers Tacitus über die alten Germanen vor zwei Jahrtausenden herleiten:

»Im Gegensatz zu freien Germanen, die langes Haar tragen durften, wurden Unfreie, Leibeigene, Sklaven, Gefangene und Verbrecher kahlgeschoren, also „geschert“ (vergl. Tacitus, Germania A. 31).«

Darunter wird eine weitere vermeintliche Belegstelle für eine angeblich obrigkeitlich ver­ord­nete bäuerliche Haupthaarschur bemüht, aus einer mittelalterlichen Versdichtung:

»Auch nach den ständischen Kleiderordnungen des Mittelalters durften die unfreien Bauern ihr Haar nicht lang tragen, es heißt darum beispielsweise in Wolframs von Eschenbach Parzival: „Nennt mich also, wie Ihr wollt: Ritter oder Knappe, Page oder gescherter Bauer“.«

Indessen ist das landläufige volksetymologische Narrativ von den zwangsweise geschorenen Bauern, wie es hier auf Wikipedia kolportiert wird, schlichtweg Unsinn. Tatsächlich steht in Eschen­bachs mittelhochdeutschem Originaltext nichts über einen “gescherten“ Bauern, vielmehr handelt sichs dabei um eine willkürlich extemporierte Hinzufügung in der modernen Übersetzung. Lediglich mhd. “garzûn oder vilân“ steht dort ¹), und das heißt lediglich “Page oder Bauer“ ²). Keine Rede von irgendwelcher Schurfrisur auf irgendwessen Haupt.

Eine stichhaltigere Herleitung des pauschalen Pejorativs “G’scherte“ für das gemeine Landvolk mit Bezugnahme auf dessen artspezifische Kurzhaartracht mag sich hingegen im “Bayerischen Wörterbuch“ von J. A. Schmeller (1836) entdecken lassen:

»[..] scheren unsre Bauern die Haare am ganzen Kopf [..] ab. Wol auf eine vornehmere ehm. Haarmode bezüglich, heißt hochgeschorn im Voc. v. 1680 (cf. Narrenschiff f. 170) superbia elatus [= “aus Stolz, Hochmut“]« ³) [vgl. Wander ⁴)]

Aus freien Stücken entledigten sich mithin die bayerischen Landwirte ihres Haupthaars, und wurden freilich nicht auf Geheiß ihrer Herrschaften geschoren, wie allenthalben fälschli­cherweise paretymologisch tradiert – für welche traditionelle Herleitung im übrigen auch nirgendwo ein historischer Quellenbeleg zu finden ist.

C. censeo: Man muss nicht alles glauben, was auf Wikipedia steht  
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Nachweise über schriftliches Vorkommen des Ausdrucks G’scherter/Gscherter/Gescherter in der Literatur ab 1800: ⁵)

Flatulentes – Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

Schas, der:  österr. mdal. = Darmwind, Flatulenz

Bedeutung:
etwas Schlechtes, Wertloses, nicht zu Gebrauchendes, Unsinniges usw. [Synonym: Schmarrn] oder auch: etwas Schwierigkeiten Bereitendes, misslicher Sachverhalt, Kalamität
Beispiele:
  • schöner Schas = Steigerungsform, d. h. etwas besonders Schlechtes, Wertloses usw.
  • Lercherlschas = Geringfügigkeit, Harmlosigkeit, Petitesse: wie der Pups eines Vögleins [Lercherl = Diminutiv v. Lerche]
  • Schas mit Quasteln = Flatus m. Posamenten, Furz m. Verzierung: etwas Nichtiges, was den Eindruck erwecken will, mehr vorzustellen als es tatsächlich ist; aufgema­scherl­ter, manierierter Schmarrn
  • schasaugert, adj. = fehlsichtig, Brille benötigend: “einen Schas“ (d. h. schlecht) sehend
    [augert = äugig]
  • Schastrommel, Schasblodern = tratschhafte, schlechte Nachrede austrommelnde bzw. ausblasende [*] (zumeist ältere) Frauensperson
    [Blådern = Blase; blådern, blodern = plaudern]

19. Jänner – Etymologisches

Heute ist übrigens der Welt-Quark-Tag, falls jemand interessiert. Welchen Sinn oder Nutzen der haben soll, konnte noch nicht herausgefunden werden.

Topfen ist die österreichische Bezeichnung für Quark, und hat daneben auch die Be­deu­tung: Unsinn, Schmarrn, Quatsch.
(Meine Cousine aus dem Rheinland amüsierte sich mal über diese Bezeichnung: »Topfen! Ihr Ösis habt wirklich komi­sche Wörter.« – Topfen, wahrlich ein “komisches“ Wort .. insonders im Ver­gleich zu »Quark« ; )

Kollege Jules van der Ley führt hier einen hübschen Exkurs über die etymologische Herlei­tung des rheinländischen Ausdrucks »Flötekies« für Quark.
Die Etymologie des Begriffes »Quark« steht indessen im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm beschrieben:

QUARK, quarg, m., aus niederd. mit qu für tw aus spätmittelhochd. twarc (zwarc), wahr­scheinlich aus dem slavischen entlehnt: poln. tvarog, böhm. tvaroh: Quarkkäse. *

Der Ausdruck Quark ist im Österreichischen ungebräuchlich, aus der nämlichen slawischen Wurzel leitet sich aber über tschech. tvarůžek (von tvaroh) der gute österreichische Quargel (ähnlich wie Harzer Käse) her, und hat ebenfalls die Nebenbedeutung: Unsinn, Schmarrn, Quatsch (auch als Verbum: quargeln, österr. = schwafeln, Unsinn daherreden.)

Bleichhäutige Menschen nennt man in Österreich »Topfenneger« (Quark­far­bi­ge) – darf man poli­tisch korrekterweise aber nimmer sagen.

Semmelnknöderln

Stets lesenswert sind Robert Sedlaczeks Sprachglossen in der Wiener Zeitung, mitunter ge­ra­ten dort freilich auch mal Kraut und Knödel durcheinander – in einer Glosse unter dem Titel »Fehlt da nicht etwas?« zum Beispiel:

*

» Der Wiener liebt die Verkleinerung. Wir essen Schwammerln in Rahmsauce, Knöderln mit Kraut, [..] Formal handelt es sich um Verkleinerungsendungen.«

Das Diminutivsuffix -erl liebt aber nicht bloß der Wiener, das ist im mittelbairischen Sprach­raum all­ge­mein gebräuchlich: Schwammerln essen die Bayern genauso wie die Steirer.¹)

»Allerdings ist dieser Genuss neuerdings beeinträchtigt. Immer öfter wird auf das Mehr­zahl-n verzichtet.«

Allerdings geht auch der Wiener nicht erst seit neuerdings keine Schwammerln su­chen, son­dern geht schon allerweil Schwammerl suchen oder schwammerlsuchen. (In der Kro­nen­zei­tung gar mit Binde-Strich.)
Auf das Mehrzahl-n in Knöderln wird hingegen immer öfter eh nicht verzichtet, inson­ders im Internet. (Außer in der Suppe – denn »Leberknöderlnsuppe kann man nicht sagen!«, frei nach Karl Valentin.)

Gemäß Österreichischem Wörterbuch, dem für Österreich gültigen amtlichen Regelwerk der deutschen Sprache, ist die Diminutiv-Endung -erl in der Pluralform auch mit ange­fügtem Mehrzahl-n korrekt, welches dort in Klammer angeführt wird: das Schwammerl, Mehr­zahl die Schwammerl(n).²)

In der Zeitschrift “Österreich. Geschichte. Literatur. Geographie“ kritisiert nun, wie Sedlac­zek be­richtet, der anerkannte Orthographie-Experte Hermann Möcker:

»Man steht im Laden und mustert die Regale. Auf einem Glasgefäß steht Gurkerl (!), es sind aber lauter Gurkerln drin. [..] Warum wird dem Gurkerl das Pluralkennzeichen ver­weigert?«

Soweit tät’s noch kommen: dass der Wiener im Laden womöglich dem Irrglau­ben anheim­fällt, in dem Gurkerlglas am Regal wäre nur eins drin, weil dem das Mehrzahl-n verweigert wird.
Beim nächsten Regal mokiert sich Orthographie-Experte Möcker wiederum:

»Einige Meter weiter werden Krautfleckerl und Schinkenfleckerl angeboten, als ob man jeweils nur ein Fleckerl essen dürfe.«

Na geh – tät’ denn der Wiener, wenn er hört dass es zum Essen Krautfleckerl (Eiernockerl, et al.) gibt, sich gar beklagen: Was, nur eins?

»Da eine klare Unterscheidung zwischen Singular und Plural sinnvoll ist, plädiert Mö­cker dafür, dass das “Österreichische Wörterbuch“ in Hinkunft alle Wörter auf -erl im Plural mit -erln anführen möge, ohne Klammer«

Sinnvoll, eh klar – damit in Hinkunft der Wiener beim Billa nicht ratlos mit seinem Österreichischen Wörter­buch vor einem Regal voller Packerln mit Fleckerln steht und am Ende glaubt, da ist jeweils nur eins drin.
Zurück zu Kraut und Knödeln, durcheinander:

»Verwirrung stiften vermutlich jene Wörter, die wie Verkleinerungsformen aussehen, aber keine sind. “Der Löffel“ und “das Kabel“ haben keine Pluralendung, weil hier der Pluralartikel zur Unterscheidung ausreicht: “die Löffel“, “die Kabel“.«

Grad die zwei Beispiele, die Sedlaczek hier anführt, sind aber ungeeignet im Kontext mit dem immer öfteren Verzicht auf das Mehr­zahl-n. Weil nämlich der Wiener grad denen – ob­wohl es sich um keine Verkleinerungsformen handelt und auch gemäß Österr. Wörterbuch nicht korrekt ist – umgangssprachlich noch extra eines anhängt: wenn in Wien etwa der Un­mut aufwallt, dann »gehn einem die Kabeln auf« (= schwellen einem die Adern), oder es kriegt wer »eins hinter die Löffeln«.

» [Möcker] weiß sich hier einer Meinung mit Jakob Ebner, dem führenden Lexi­ko­gra­phen Österreichs.«

Möckers Haltung sei ihm sympathisch, so Sedlaczek, aber er wisse auch wie man in der Re­daktion des Österr. Wörterbuchs über diese Sache denkt:

» “Das Endungs-n nach -erl schwindet immer mehr, [..] Da das Österreichische Wörter­buch auch an den Schulen verwendet wird, sind wir für sanfte Regeln: Schüler, die auf das -n verzichten, sollen nicht pönalisiert werden.“ So argumentiert Christiane Pabst, die Hauptverantwortliche für das “Österreichische Wörterbuch“.«

Wie jetzt? Wenn gemäß Österr. Wörterbuch eh beide Endungsformen korrekt sind, wieso sollte dann überhaupt jemand pönalisiert werden, wer auf eine davon wahlweise verzichtet oder nicht? Vergurkerlte Argumentation. Ein anerkannter Orthographie-Experte sowie ein füh­render Lexi­kograph wissen sich einer Meinung und plädieren dafür, im Wörterbuch für Öster­rei­­chisches Deutsch in Hinkunft eine Klammer wegzulassen – deswegen würde aber auch in Hin­­kunft ja keinem österreichischen Schüler eine Pönale drohen, der in einem Auf­satz dennoch “Gurkerl“ statt “Gurkerln“ schreibt, solang das auch der Duden zulässt.

»Pabst sagt, wenn eine Regel von vielen nicht mehr eingehalten wird, ist sie obsolet.«

Papa locuta – Causa finita? (Achtung, Namenwitz) – Straßenverkehrsregeln wird sie damit ja wohl kei­ne meinen, darf man annehmen.

»Möcker sagt: Wenn eine Regel vernünftig ist, soll sie bleiben.«

Was Verkehrsregeln betrifft, darf man dem ohneweiters zustimmen. Anzunehmen, dass sich beide Aussagen auf Orthographieregeln beziehen.
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¹) Überdies ist Schwammerl keine “Dialektbezeichnung“, wie auf Wikipedia unrichtig dar­ge­stellt, sondern Österreichisches Schriftdeutsch.
²) Im Duden wird das Mehrzahl-n in eckige Klammern gesetzt – Plural: die Schwammerl[n]
Wiktionary führt beide Formen an – Plural 1: Schwammerl, Plural 2: Schwammerln

Toponomastisches

Kollege Jules van der Ley schreibt hier über ein Gewässer namens “Wurm“, dessen Na­mens­gebung auf die Kelten zurückgehe und “warm“ bedeute – wofür es keine Belege gibt.

In Niederösterreich gibts etwa eine Ortschaft Würmla, mundartl. “Wirmla“ ausgesprochen. Laut Wikipedia setze sich ..

.. »der erstmals 1075 als Wirmila urkundlich erwähnte Name aus den althochdeutschen Wör­tern “Wirm“ (Wurm) und “la“ (Lache, Bach) zusammen.«

Das ist Unsinn. Laut Deutschem Wörterbuch der Brüder Grimm existiert das Wort “wirm“ le­dig­lich im Altfriesischen mit der Bedeutung Wurm*, und sonst nirgendwo. Altfriesisch hat indessen im niederös­terreichischen Würmla noch nie wer gesprochen.
Vielmehr leitet sich der Name von dem althochdt. Wort “wirma“ / mittelhochdt. “wirme“ / alt­bai­risch “wirm“ (in etlichen anderen altdt. Sprachvarietäten ebenso “wyrm“, “würm“ u. ä.) her, und bedeutet Wärme*.
(Das althochdeutsche Wort für Lache heißt überdies nicht “la“, sondern richtig “lâhha“ bzw. “lâh“ und bezeichnet auch keinen Bach, bloß stehendes Gewässer, Tümpel, Sumpf.)
Der Ortsname Würmla bedeutet also nicht Wurmlacke oder Wurmbach, sondern stattdem: Warmlacke, warmer Tümpel.*)

Ein Beleg, dass ein heute “Wurm“ genanntes Gewässer zur Zeit der Kelten dereinst warm ge­wesen wäre, findet sich damit freilich keiner.
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*) Tümpel in Moorgebieten haben meist eine sehr warme Wassertemperatur*. Auf (ehemals) sumpfiges Gelände und Feuchtgebiet weisen in der Umgegend von Würmla auch viele weite­re Orts- und Flurbezeichnungen hin, wie Obermoos, Mittermoos, Untermoos (Moos = Moor), Moosbierbaum, Mosletzberg, Laa a. d. Tulln usw.

Idiomatisches

»Ein Bayer wird nie die für ihn völlig abstrakte Bezeichnung “Gott“ gebrauchen,
er sagt stets “Herrgott“.«  (Oskar Maria Graf)

Da produziert der ORF eine Reihe über diverse Schlösser und deren adelige Herrschaften in Österreich unter dem Titel “Herrschaftszeiten!“ – welcher garnicht einmal unoriginell wäre, wenn er nicht unsinnig wäre: weil der bairische Ausdruck nämlich gar nicht so heißt (und auch mit “Zeiten“ gar nix zu tun hat), sondern “Herrschaftseiten!“ oder “Herrschaftzeiten!“.

Die etymologische Herleitung der Interjektion “Herrschaftseiten!“ (o. “Herrschaftzeiten!“) als ausdrückliche Un­muts­be­kundung ist ungewiss, möglicherweise aus einer Verglimpfung des gleich­falls gebräuchlichen mundartli­chen Fluchs “Herr­gottzefix“. Nicht unplausibel scheint auch eine phonetische Ver­schleifung (Enklise) der Redensart “Herr, schau auf d’ Seit’n!“, in der Be­deu­tung “Herr[gott], blicke [gnädig] hin­weg [über dieses Unge­mach]!“.

Alle Jahre wieder ..

Als mein lieber Wiener Schwiegerpapa einmal den Weihnachtsbaum direkt neben einem Zen­tral­heizungskörper aufstellen wollte, wurde er von meiner lieben Wiener Schwiegerma­ma ge­scholten:

    »Duana daune do. Doda dadiada da do, du Dodl du.«

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[Übers. für Außerösische:.»Tu ihn weiter weg. Dort verdorrt er doch, du Dummkopf.«]

Etymologisches – Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

neger (Adj.) = mittellos, pleite
neger sein = kein Geld haben
neger gehn = Pleite machen
Siehe auch: Negerant (Subst. m.) = Habenichts; Pleitier: jemand, der neger [gegangen] ist

Die Etymologie dieses ostmittelbairischen, vorwiegend wienerischen Adjektivs ist ungeklärt. Peter Wehle (“Sprechen Sie Wienerisch“) bemüht eine Herleitung, welche lediglich auf un­fun­dierter Mutmaßung beruht und kaum überzeugt:

»neger: geldlos, arm; vermutl. von dem Vergleich mit abgebrannt, schwarz«

Naheliegender erscheint eine Herleitung über das Substantiv Neige f. [Überrest, Rückstand], mdal. »néga«, wie etwa auch Kollegin “Fragen Sie Frau Andrea“ Dusl vorschlägt.*

Bei J. H. Zedler “Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Kűnste“ (1740) findet sich der Eintrag:

»neige, lapsus bonorum, heißt, wenn jemand in dergleichen schlechte umstænde geræth, daß sein noch habendes vermœgen nicht zureicht, die zu bezahlenden schulden zu til­gen, oder seine glæubiger zu befriedigen, und es daher zu einem ordentlichen concurs kommt. so sagt man von einer solchen person: es ist mit ihr auf die neige gekom­men.« *

Sowie im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm (1854):

»auf die neige, zur neige gehen oder kommen, wenns zu ende geht: auf der neige sparet sichs übel; auf der neige ist nicht gut sparen.
auf der neige sein: decrepitus est [= zu Ende gehend]« *

»Auf der Neige sein; auf die Neige gehen«, »wer auf der Neige ist, dem bleibt nichts mehr zum spa­ren übrig« – die Herleitung zu »neger sein; neger gehen« er­scheint durchaus ­plau­si­bel. Unstrittig gesi­chert ist sie aber nicht.

Etymologisches

Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

Bahöh, der = österreichisch für Krawall, Wirbel, Aufruhr, Radau, Streit;
an Botzn Bahöh mochn = viel Aufhebens, Lärm um nichts machen
a murds Bahöh = ziemlicher Tumult

Herleitung: Bahöl, von jiddisch Bahel, rotwelsch Balhe = Lärm, Verdruß, Streiterei; mittel­he­brä­isch behãlã = Durch­ein­ander, Entsetzen
(Vgl. auch: ungarisch balhé = Krawall, Stunk)
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[Quelle: H. Stern, Wörterbuch z. jiddischen Lehnwortschatz i. d. deutschen Dialekten]

Anmerkungen:
Ziemlich abwegig erscheint hingegen die Herleitung im DUDEN:

Ba­höl, der: großer Lärm, Tumult. Herkunft: zu mittelhochdeutsch behellen = über etwas hi­naus tönen, zu: hellen, althochdeutsch hellan = tönen  [*]

Das ist freilich keine Herleitung, vielmehr ein unsinniger Zirkelschluss:
das mittelhochdeutsche Verb bahellen, bahö(d)n = lärmen, Aufhebens machen ist eben eine Ab­leitung aus dem jiddischen Sub­stantiv Bahel, nicht umgekehrt.

Die Herleitungen von P. Wehle (“Sprechen Sie Wienerisch?“) beruhen nicht selten auf bloßen Mut­maßungen oder Hörensagen, wie er selbst einräumt:

Bahöö: Streit, Durcheinander, Lärm. Vielleicht aus dem Tschechischen, wo lt. mündlicher Mit­teilung pahel oder pahol soviel wie Krawall bedeutet; müßte Dialektwort sein, da es im Lexikon nicht aufscheint; jidd. palhe = Lärm; kommt vielleicht v. ung. páholni = prügeln;

Der nämliche Unsinn steht aber auch auf Wikipedia:

Bahö, alternative Schreibweise: Bahöl. Herkunft aus tschechisch bahol = Krawall, ungarisch páholni = prügeln;  jiddisch palhe = Lärm.  [*]

Freilich hätte sich in Zeiten des Internet unschwer herausfinden lassen, dass der Ausdruck »bahol« im Tschechischen überhaupt nicht existiert, sondern eine freie Erfindung ist.

Imperatives

Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

Kollegin Etosha nimmt den Kommentar von Kollege gulogulo zu einem vorangegan­genen Ein­trag wiederum zum Anlass für erweiterte Ausführungen über das »reflexive Schleichen«.

Neben der imperativen Bedeutungsvariante »Verschwinde, Hau ab!« im räumlichen, sowie »Lass mich in Ruhe!« im kommunikativen Sinne – der an den Angesprochenen direkt ad­res­sierten Aufforderung, sich aus dem Wahrnehmungsbereich des Sprechers hin­weg zu verfügen – tritt der Imperativus Ösitaniensis »(Geh) schleich di« [schleiche dich; reflexiv] in pseudo-imperativer Variante in breitem Bedeutungsspektrum auf.
Im ösitanischen Idiom findet die Wendung »Schleich di!« bevorzugt als sekundäre In­ter­jektion Gebrauch, um etwa Überraschung, Verblüfftheit, ungläubiges Er­staunen, aber auch Be­stür­zung, Verärgerung, u.ä. zum Ausdruck zu bringen. Ob der Sprecher mit diesem Aus­spruch positive oder negative Emotion kundtut, lässt sich für den Zu­hörer aus der unter­schied­lichen Modulation der Tonhöhe & Klangfärbung sowie Deh­nung des Vokals erkennen.
– Kollegin Etosha führt als Dialogbeispiel an:
    »Ich hab fünf Tausender im Lotto gewonnen!«
    »Geh schleeeich di!«
    [Übers. f. Außerösische: »Nein, wirklich? Nicht zu fassen!«]
– Die nämlichen Vokabeln, jedoch unter variierter Betonung & Vokaldehnung, for­mu­lieren sich ebenso zur Beileidsbekundung:
    »Gestern ist mein Hund gestorben.«
    »Geh schleeich di!!«
    [»Ach, wie traurig. Das tut mir leid.«]
– oder zum Ausdruck des Entsetzens:
    »Unser Haus ist abgebrannt.«
    »Geh schleich di!!!«
    [»Mach keine Witze! Das ist ja schrecklich.«]
Mitunter richtet sich die pseudo-imperative Interjektion auch an ein imaginäres Gegen­über, indem der Ausrufer angesichts eines unerbaulichen Sachverhalts ungehalten in Mo­no­log­form interjektiert,
– als Unmutsäußerung:
    »Geh schleich di!«
    [»Verflixt! So ein Mist.«]

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Kollege Hubbie bemerkt in einem Kommentar zu dem referenzierten Artikel überdies eine Tendenz des Imperativus Ösitaniensis ins vermeintlich Vulgäre, welche sich z.B. in der mit »Geh schleich di!« synonymen Interjektion »Geh, leck!« (auch: »Ja, leck!«) gleichfalls fest­stel­len lässt. So mag es den außerösischen Zuhörer durchaus befremden, wenn der ösi­ta­ni­sche Sprecher seine Verwunderung (Betroffenheit usw.) solcherart ar­tikuliert, indem er ihm ex­pres­sis verbis das (Arsch-)lecken aufträgt.
Wir kennen die Redensart aus der konkreten Fallbeschreibung des sogenannten “Herr­gott­schnitzer-Syndroms“:
Der Pfarrer gibt beim Herrgottschnitzer eine Schmerzensmannfigur in Auftrag, und als er sie zum erstenmal sieht, da erscheint ihm der dargestellte Gesichtsausdruck zu­wenig leidend: der Herrgottschnitzer solle nachbessern. Also schnitzt der weiter an den Gesichtszügen, um sie noch schmerzverzerrter zu gestalten; der Pfarrer indessen ist noch immer nicht zufrieden. Der Herrgott­schnitzer schnitzt weiter und weiter an der Leidensmiene des Schmer­zens­manns herum – bis er zuletzt resümiert:

    »Jo leck mi’n Oasch, jetzt lacht er.«
    [Übers. f. Außerösische: »Weniger wäre mehr gewesen.«]

Linguistisches

Aus der Reihe: “Ösitanisch für Außerösische“

In einem aktuellen Eintrag erinnert Kollegin Etosha an ihre seinerzeitigen, höchst lau­nigen Betrachtungen über den Conjunctivus Austriacus, die im Ostmittelbairischen endemische Varietät des Konjunktiv II (vulgo Irrealis).

Ein Spezifikum des Conjunctivus Austriacus stellt der iterative Appendix im Flexions­suffix dar, drei Musterverben im betr. Konjugationsmodus zur Veranschaulichung:

Standarddt. | Conjunct.AT | Aussprache
‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾‾
täte                    täterte                  dadad
wäre                 wärerte                warad 
 ginge                gingerte               gangad 
Einen hübschen Conjunctivus Austriacus in dreifacher Ausfertigung unter Verwendung der oben angeführten Verben vernahm ich etwa vorm Wiener Apollo-Kino, als einer im Hinblick auf den nahenden Beginn der Vorführung seine Begleiterin mahnte:
    »I dadad sogn, ’s warad Zeit wauma sche laungsaum einegangadn.«
    [Übers. f. Außerösische: »Ich würde sagen, es wäre höchste Zeit dass wir endlich hi­­nein­gin­gen.«]
Typisch an dem Exempel ist überdies die semantische Relativierung der bestehenden Dring­lichkeit, welche sich für den unkundigen Rezipienten womöglich als Manifestation der berüchtigten “Wiener Gemütlichkeit“ missinterpretieren lässt. Tatsächlich ist das nicht der Fall, vielmehr pflegt in Form des ösitanischen Konjunktiv II nicht selten ein verklausulierter Im­pe­rativ daherzukommen. Einmal hörte ich zu, wie ein Lkw-Fahrer einen säumigen Kol­le­gen, der die Zufahrt zur Abladestelle blockierte, dazu anhielt sich unverzüglich von dannen zu verfügen:
    »Warad boidamoi Zeit wauns di sche laungsaum schleichn dadast.«
    [Übers. f. Außerösische: »Mach dich vom Acker, aber pronto!«]
Insbesondere Verwendung findet der ostmittelbairische Conjunctivus Praeteriti in der Hand­werks- und Monteurbranche, wie auch Kollegin Etosha feststellt. So avisierte un­längst der Mann von den Gaswerken, der unseren Gaszähler austauschen sollte, sein Eintreffen durch einen Anruf:
    »I ruafad au wengan Zöhlatausch, i warad uma zehne do.«
    [»Ich rieferte wegen des Zählertausch an, ich wärerte um zehn Uhr da.«]
Und als er die Montage erfolgreich vollendet hatte, brachte er diesen Sachverhalt zur Kennt­nis, indem er austro-konjunktivierte:
    »I dadad sogn, mia waradns daun.«
    [»Ich täterte sagen, wir wärerten es dann.«]
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(siehe auch:  Über den Optativus Viennensis)

Etymologisches

Aus der »Liste der Österreichischen Fachbegriffe und deren etymologische Her­leitung«:

Gschlåda, Gschlempa, Gwascht (gleichbed.) = minderwertiges Getränk

Gschlåda (auch: Gschleda), n.
v. mhd. gesleder = schlammiges Wasser; nhd. geschlädere = Sautrank
vgl. schladern, schledern (Verb) = unmanierlich trinken

Gschlempa, n.
v. nhd. schlempe = Spülicht, Abwaschwasser
vgl. schlempern (Verb): v. spätmhd. slemmen, slampen = schlürfen

    » schlampen, verb. flüssiges mit geräusch einschlürfen, wie der hund es thut.«
    (Deutsches Wörterbuch d. Brüder Grimm)

Gwascht, n.
schmutzige Flüssigkeit, Abwasser; v. waschen

    » Gwascht, bedeutet eine Nässe, die von vielem Waschen
    oder Ausschwenken verursacht wird. Oest.«
    (Deutsches Provinzialwörterbuch, 1792)

Beispiele:

  • “De Bujabäs? A stinkats Gschlåder.“ (Helmut Qualtinger*)
    [“Die Bouillabaisse? Eine schlecht riechende Suppe.“]
  • “Für des Gschlemper is ma um mein schen Durscht lad.“ (Kollege Kurtei*)
  • “Wia kann denn der Herr da von Euchern Gwascht trinken?“ (Karl Adolph*)

Etymologisches

Aus der »Liste der Bairisch-Österreichischen Fachausdrücke, für die es im Schrift­deutschen kein gleichbedeutendes Synonym gibt«:

Baaz (Subst., m.) = pampige, gatschige Masse *)

*) Nota bene: im Bedeutungsunterschied zu gleichltd. Baaz (Subst., f.) = Beize, Sur

Herleitung: v. mhd. backezen, batzen = klebrig, weich sein
Bedeutung: breiartige Substanz mit ggf. schlaziger Konsistenz
Beispiele:

  • Äpfebaaz = Apfelmus
  • Eapfebaaz = Erdäpfel[=Kartoffel]-püree
  • Griaßbaaz = Grießkoch, Grießbrei
  • Schneebaaz = Schneematsch
  • Obazda, bairisch = Angebatzter, zu Baaz gemanschter [Käse]
  • baazwaach (Adj.) = weich wie Baaz; auch: massiv betrunken
  • (jmd. hat es) derbaazt (Verb, trans.) = derprackt, ums Leben gekommen;
    insbes. d. (Straßenverkehrs-)Unfall, bildl.: wie ein Insekt derklatscht

Wörter mit sinnverwandter, aber nicht identer Bedeutung:
Måtschga = Matschker, Matsch, Zergatschtes
Schlaz = Schleim; möglicherw. v. tschech. slíz = schlitzig, schleimig, glitschig

Anwendungsbeispiel (Schibboleth):
»Achten Sie darauf, dass Sie sich beim obazn mit der Baaz mit dem Baaz ned aubotzn.« *)
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*) [Übers. f. Außerösische: »beim abbeizen mit der Beize mit dem Baaz nicht anpatzen.«]

Linguistisches

Aus der »Liste der österreichischen Wörter, für die es im Schriftdeutschen kein gleichbedeutendes Synonym gibt«:

allerweil, sprich: ollaweu (Interjektion) = “Ach, wenn doch bloß“ *)

*) Nota bene: im Bedeutungsunterschied zu dem gleichlautenden allerweil (Adverb) = im­mer, ständig, dauernd.

Kollegin Etosha verweist in einem schönen Artikel auf den Conjunctivus Austriacus, unter Linguistikern auch als Ostmittelbairischer Möglichkeitsmodus bekannt.
Eine im Wienerischen endemische Varietät des genannten Conjunctivus Austriacus stellt der Optativus cupitivus Viennensis dar, nachfolgend ein Exempel unter zwei­facher Verwendung von “allerweil“ (als Interjektion sowie als Adverb), zugleich in zweierlei Bedeutung:

    »Ollaweu ’s warad ollaweu aso.«
    [»Ach, wenn es doch bloß immer so wäre.«]

Meine lieben Wiener Schwiegereltern waren einmal im Theater, in der zweiten Pause fragte Schwiegermama, ob es ihm eh noch gefalle? – Ja eh, gab Schwiegerpapa zu, aber:

    »Ollaweu de faungadn ins featigwean aramoi au.«
    [»Allerweil die täten auch mal mit dem Fertigwerden anfangen.«]

Schwiegermama draufhin zu Schwiegerpapa:

    »Ollaweu du sogast ned ollaweu “ollaweu“.«
    [»Ach, wenn du bloß nicht ständig “allerweil“ sagen würdest.«]

Etymologisches

Aus der »Liste der österreichischen Wörter, für die es im Schriftdeutschen kein gleichbedeutendes Synonym gibt«:

vawoadagln, (Verb) = verwirrstalten
vawoadagld, (Adj.) = verwirrstaltet

Bedeutung:

  • verwordageln (Verb, transitiv):  etwas aus der Fasson bringen, verwursteln.
  • verwordagelt (Adj.):  aus der gehörigen Form geraten bzw. gebracht,
    Konstella­tion un­vor­teil­haft durcheinandergeraten.
    U.a. kommen auch Texthervorbringungen (schriftlich o. mündlich*) aufgrund
    un­stimmigen Wortgefüges bzw. Satzkonstruktion verwordagelt daher.

Die Etymologie ist unklar. Peter Wehle (“Sprechen Sie Wienerisch?“) – dem allerdings nicht immer zu glauben ist, da er dem Leser nicht selten haltlose Spekulationen oder frei er­fun­de­­nen Unsinn für bare Münze verkauft (und deswegen auch oft genug wider­legt wurde) – postu­liert folgende Herleitung:

»von bairisch ‘verwoachtagen’ = “verweichteigen“, ‘verwoachtagert’ = “ver­weich­teigig“:
der Teig ist zu weich geraten, das Gebäck missglückt; oder, durch den 30jährigen Krieg zu uns gebracht, von schwedisch ‘för varje dåg’ = “alltäglich, minderwertig“.«

Recht plausibel erscheint das allerdings nicht.

Etymologisches

Aus der “Liste der österreichischen Verben, für die es im Schriftdeutschen kein gleichbedeutendes Synonym gibt“:

kräulen, abgeleitet von altgerm. ‘kravla’ = “kriechen, krabbeln“

Bedeutung: kriechen, schleichen, trödeln, kraxeln u.a.m., nach Kontext.
Beispiele:

  • verkräulen, reflexiv: sich verkriechen, aus dem Staub machen
  • auf Leiter, Baum, Dach, Berg u.ä. (auffe) kräu’n: (hinauf) klettern
  • umanaundkräu’n: herumkriechen; umherschleichen, -streunen
  • daherkräu’n: sich mühsam einherschleppen
  • drüberkräu’n: lieblos beischlafen
  • jmd. auffekräu’n, zuwekräu’n: jmd. belästigen, bedrängen
  • jmd. einekräu’n: sich bei jmd. einschleimen, anbiedern
  • jmd. owekräu’n: jmd. in Ruhe lassen

Etymologisches

Aus der »Liste der österreichischen Verben, für die es im Schriftdeutschen kein gleichbedeutendes Synonym gibt«:

wacheln, abgeleitet von mhd. ‘wacken’ = sich hin und her bewegen

Bedeutung: wedeln, winken, fuchteln, flattern, taumeln u.ä., je nach Kontext.
Beispiele:
Der Hund wachelt (= wedelt) mit dem Schwanz.
Die Fahne wachelt im Wind.
umeinandwacheln: mit den Armen herumwinken, -gestikulieren; herumtorkeln.
Outwachler: Linienrichter beim Fußball, der mit seinem Fähnchen wachelt (= sein Fähnchen schwenkt), wenn der Ball im Out landet.
Einwachler: Einweiser, Einwinker, z.B. Handzeichengeber beim Einparken.
Saunawachler*, der in der Sauna mit einem Handtuch wachelt um Luft herumzufächeln.
Wachel, der: Verkehrspolizist (= der mit den Armen wachelt, um den Verkehr zu regeln.)

Ösilalie

Wiener Halbwüchsige hört man häufig eine Redensart äußern, die hört sich so an:

    “Assoia’ssa–uuo–oahhg!“

und das soll heißen: “Heast Oida, des is ur oag!“
und das heißt auf deutsch: “Das finde ich bemerkenswert.“

Manko

Haben Sie gewusst, dass es für die ösitanischen Lokaladverbien zuwe und daune keine ent­spre­chenden Vokabeln im Schriftdeutschen gibt?
Ösitanisch für Außerösische
Insbesondere was das zuwefahren bzw. daunefahren im Straßenverkehr anbelangt.