In 30 Tagen um die Welt

In 30 Tagen um die Welt, 60. Tag: Der Wiener Prater

Heute vor 250 Jahren, am 7. April 1766, gab Kaiser Joseph II. den Wiener Prater, die kaiser­li­chen Jagdreviere in den Auwäldern zwischen Donaukanal und Donau-Hauptarmen, per ma­jes­tät­licher Verfügung zur allgemeinen Benutzung durch seine Untertanen frei:

……..»Es wird anmit jedermanniglich kund gemacht, wasmaßen Se. kaiserl. Majest. aus aller­höchst zu dem hiesigen Publico allermildest hegenden Zuneigung Sich allergnädigst ent­schlossen und verordnet haben, daß künftighin und von nun an zu allen Zeiten des Jahrs und zu allen Stunden des Jahrs, ohne Unterschied jedermann in den Bratter frey spazieren zu gehen, zu reiten, und zu fahren (die allzu abgelegenen Orte, und dicke Wal­dungen, we­gen sonst etwa zu besorgenden Unfugs und Mißbrauchs alleinig aus­ge­nommen) er­lau­bet, auch Niemanden verwehrt seyn soll, sich daselbst mit Ballonschla­gen, Kegl­scheibn, und an­dern erlaubten Unterhaltungen eigenen Gefallens zu divertie­ren: wobey man aber ver­siehet, daß niemand bey solcher zu mehrerer Ergötzlichkeit des Publici allergnädigst ver­stattenden Freyheit sich gelüsten lassen werde, einige Un­­füg­lich­­keit, oder sonstig un­er­laubte Ausschweifungen zu unternehmen, und anmit zu ei­nem allerhöchsten Miß­fallen An­laß zu geben. Wien den 7. April 1766.«

Weiterhin verstattete Se. kaiserl. Majest. allergnädigst die Eröffnung von Kaffeesiedereien, Gast­wirt­schaf­ten und allerlei Lustbarkeitsetablissements, was bald zur Entstehung eines Ver­­gnü­­gungsparks, des Wurstelpraters, führte. An Sonn- und Feiertagen durfte das Areal erst ab zehn Uhr betreten werden, um dem Frühgottesdienst keine Konkurrenz zu machen. Abends wurde durch drei Böllerschüsse Signal gegeben, dass das gemeine Volk den Prater zu ver­lassen habe.

1895 wurde im Wiener Prater der vermutlich erste Themenpark der Welt eröffnet: »Venedig in Wien«. Auf einem künstlich angelegten mit Donauwasser gefluteten Kanal, gesäumt von nach­gebauten historischen Palazzi, ließen sich Bootsfahrten in original venezianischen Gon­deln unternehmen, welche von echten venezianischen Gondolieri gesteuert wurden.

»Venedig in Wien« bestand nur etwa sechs Jahre, anschließend wurden die Bauten demoliert und das Gelände wieder trockengelegt.

Der Wurstel- (vulgo Wurschtl-)prater heißt übrigens nicht, wie von Unkundigen oft fälsch­lich genannt, »Würstelbrater« wegen des dortigen Brat­wurstangebots, son­dern nach den volks­tüm­lichen Hanswurst*)-Bühnen oder Kasperl­the­a­ter, sowie der ur­sprüng­li­chen Flur­be­zeich­nung Pratum, lateinisch für »Wiese«.
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*) (Hanswurst, Kasperl = wienerisch »Wurschtl«)

In 30 Tagen um die Welt, 59. Tag

.. nach Kleinraßberg bei Neulengbach

Beim Suttenwirt in Kleinraßberg hängt über den Pissoirs am Män­ner­klo eine meterlange Tafel mit dem Uralt-Häuselschmäh:


Tafel und Beschriftung sind allerdings dermaßen groß dimensioniert, sodass jeder nor­mal­sich­tige Pissoir-Benützer unweigerlich einen Schritt zurücktreten muss, damit er’s über­haupt als ganzes lesen kann.

18. Jänner: Welttag des Schneemanns

Als Datum für den Welttag des Schneemanns wurde der 18. Jänner gewählt, wobei die 8 sym­­bolisch für die Figur des Schneemanns und die 1 für seinen Stock oder Besen steht.*
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In 30 Tagen um die Welt, 58. Tag

.. Cortonwood/Yorkshire: Der Schneemann und der Polizeichef

Am 6. März 1984 begann in Cortonwood in Yorkshire der einjährige bri­­tische Berg­ar­bei­ter­streik, der Miners’ oder Coal Strike von 1984/1985, in dessen Verlauf es wie­der­holt zu heftigen Aus­ein­an­der­setz­un­gen mit der Polizei kam.*

Bruce Wilson, einer der strei­ken­den Berg­männer, notierte in seinen 2004 veröffentlichten Tage­­buch­auf­zeich­nun­gen* eine Episode aus dem bit­ter­kalten Februar 1985:
Nachts hatte es geschneit und einige Streikende hatten, um sich sich auf­zuwärmen, einen großen Schnee­mann gebaut und diesem einen erbeuteten Polizeihelm auf den Kopf gesetzt. Der Polizeichef, Chief Superintendent John Nesbit, wollte derlei despektierliche Obrig­keits­­ver­spot­tung nicht dulden, startete höchstpersönlich einen Streifenwagen Marke Range Ro­ver und fuhr mit Voll­gas auf den Schneemann zu, um ihn zu zerstören. Das Resultat war ein gehöriger Crash samt veri­tab­lem Blechschaden – nämlich am Strei­fen­wa­gen: die Bergleute hatten den Schneemann rund um einen massiven Betonpoller errichtet.

In 30 Tagen um die Welt, 57. Tag

.. von Wagram am Wagram nach Eggenburg
Wagram am Wagram ist eine kleine Ortschaft am Wagram, einer mar­­kanten Lößstufe entlang der Donau in Niederösterreich.

Die altertümliche Flurbezeichnung Wagram/Wagrein/Wagrain u. ä. setzt sich aus den bei­den alt­hochdeutschen Wörten wāg (= Fließgewässer) sowie rein (= Rain, Rand, er­höh­te Be­gren­­zung) zusammen und bedeutet also Flussrand, Uferböschung, und kommt ziemlich häufig vor, weswegen Wagram am Wagram explizit als »am Wagram« verortet wurde, damit mans nicht ver­wech­selt.
Die Sedimentablagerungen aus dem Tertiär (dem sog. Eggenburgium, als das Donaubecken von einem urzeitlichen subtropischen Ozean bedeckt war) stecken voller mariner Fossilien, wel­che der aus Eggen­burg gebürtige Pa­lä­on­to­loge Johann Krahuletz zur vorigen Jahr­hun­­dert­wende ton­nen­weise aus dem Wagramer Löß klaub­te und heute im nach ihm benannten Kra­hu­letz-Museum eben­da zur gefälligen Betrachtung ausgestellt sind, darunter Kuriosa wie etwa das Eggen­bur­ger Kro­ko­dil (Gavialosuchus eggenburgensis) oder die prähistorische See­kuh (Me­ta­xy­the­ri­um kra­hu­letzi).
(Im Krahuletz-Museum Eggenburg findet übrigens auch eine Dauerausstellung »Gesteine im Gespräch« statt – was man sich gewiss als ungemein unterhaltsame Veranstaltung vor­stellen darf ;)
Kollege gnaddrig schreibt hier über pseudo-etymologische “An­den­haarenherbeigezerrthei­­ten“, und das erinnerte mich an den Blödsinn, den wir im Heimatkunde-Unterricht in der Volks­schule lernten, woher der Wagram seinen Namen habe:
Der stamme nämlich aus der alten Germanensprache, wurde uns weisgemacht, weil der Wag­ram in früheren Zeiten eben am Meer lag, wie die versteinerte Meeresfauna bezeuge, und da­her wurde er dazumals auf gut altgermanisch wagram genannt, das heißt »Wogen­rain«.
Wenn ich heutzutags am Wagram vorbeifahre, fällt mir jedesmal die absurde Vorstellung wie­der ein, welche Herr Heimatkundelehrer selig uns weiland in die Kinderköpfe pflanzte: wie die alten Germanen seinerzeit vor 20 Millionen Jahren dort vom Wogenrain herabge­blickt und Krokodile & Seekühe in der tertiären Sintflut hätten umherschwimmen gesehen.

(Freilich lernten wir in der Volksschule nicht nur Blödsinn, nebenbei auch manch fürderhin nutzreiches Wissen ;)

In 30 Tagen um die Welt, 56. Tag

.. Völtendorf: International Airport St. Pölten
Am 21. Mai 1997, elf Jahre nach seinem Hauptstadtbeschluss, sie­del­te der niederösterreichi­sche Landtag von Wien ins neu errich­te­te Regierungsviertel nach St. Pölten a. d. Traisen um.
So musste das gesamte niederösterreichische Landesregierungspersonal damals von einem Tag zum andern von seinem alteingesessenen Arbeitsplatz in Wien zur neuen Landes­haupt­­stadt nach St. Pölten auspendeln, was mit ausgedehnten Anfahrtszeiten einherging und kein reines Vergnügen war.
Als zwei Jahre darauf der Sitz der deutschen Bundesregierung nach Berlin verlegt und für das Personal ein sog. “Beamtenshuttle“-Flugdienst von Köln/Bonn nach Berlin und retour ein­ge­rich­tet wurde, da war das freilich recht komfortabel, also forderte die St. Pöltener Be­am­tenschaft vehement ebenfalls einen Pendel-Linienflugverkehr Wien–St. Pölten.
Tatsächlich meinte nämlich ein Schlaumeister die sensationelle Entdeckung gemacht zu ha­ben, dass es in Völten­dorf in der St. Pöltener Pampa wahrhaftig einen Flugplatz gibt: die Freude war groß. Leider stellte sich bei näherem Augenschein heraus, dass es sich bei dem sog. »Flugplatz Aerodrome Völtendorf« lediglich um eine unbefestigte Piste für Hobby-Flie­ger auf ei­nem Acker neben der Pielachtaler Bundesstraße handelt, des­sen Infrastruktur im we­sent­li­chen aus ei­ner Windfahne und einem Dixi-Klo bestand.
(Foto: »International Airport St. Pölten«)
Somit platzte der Traum der St. Pöltener Regierungsbeamtenschaft, wie ihre Berliner Kolle­­gen per Shuttle-Flugdienst zur Arbeit fliegen zu dürfen, und sie müssen mit der Bundesbahn fah­ren.

Flugplatz Völtendorf : Im Jahr 2008 wurde die Graspiste mit Kunststoff-Gitterplatten aus­­­ge­­legt, um Maulwurfshügel möglichst zu verhindern.  (Wikipedia)

In 30 Tagen um die Welt, 55. Tag

.. wie der Arschlochwinkl zu seinem Namen kam:
Zur vorletzten Jahrhundertwende schwärmten k.u.k. Land­­ver­­messer im Salzkammergut und Dachstein­gebiet aus, um die Re­gi­on erstmals amtlich zu kartographieren. Dazu er­kundigten sie sich bei den Einheimischen nach den ver­schiedenen Orts- und Flurbezeichnungen. Weil zahl­reiche aber überhaupt keine Namen hatten, die Landver­messer mit ihren Fragen jedoch insistierten, machten sich die Ein­­hei­mi­schen eine Gaudi daraus, Namen zu erfinden, welche die k.u.k. Kar­to­graphen artig in ihre amtlichen Kar­ten ein­trugen. Und so kam unter anderem der »Arsch­loch­winkl« im Dach­stein­ge­biet zu seinem Namen.

In 30 Tagen um die Welt, 53. Tag

.. von Nürnberg nach Leipzig: eine Ortschaft namens Lederhose

Die Ortschaft Lederhose liegt in Thüringen, hat 270 Einwohner, eine ei­ge­ne Autobahnanschlussstelle sowie ein eigenes Gemeindewappen, nämlich eine grüne Lederhose vor gelbem Hintergrund. Warum die Lederhose auf dem Lederhosener Wappen grün ist, weiß man nicht.

Der Name leitet sich von der früheren slawischen Ortsbezeichnung Ludoraz her.

(A9 Nürnberg–Leipzig)

In 30 Tagen um die Welt, 51. Tag

.. von Gloggnitz nach Mürzzuschlag

Heute vor 157 Jahren, am 17. Juli 1854, wurde die Semme­ring­bahn er­öffnet, die erste Gebirgseisenbahn Europas.

Die Errichtung ging auf das Betreiben Erzherzog Johanns zurück, welcher herzogliche Güter in Niederösterreich sowie der Steiermark besaß. Zuvor musste er, wenn er mit der Südbahn zu seinen Besitzungen reiste, auf der Strecke über den Semmeringpass zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag auf Pferdegespanne umsteigen, was nicht grad komfortabel war. Die Lücke in einer durchgehenden direkten Eisenbahnverbindung zwischen Wien und Triest (dazumals österreichischer Adriahafen) wurde nunmehr geschlossen.
Erbauer der Semmeringbahn war Carl Ritter von Ghega, den man im Bild unten nicht sieht, weil er auf der Rückseite drauf ist:


Bemerkenswert ist, dass der IC-Verkehr Österreich–Italien bis zur heutigen Gegenwart noch immer über die historische Ghega-Trasse führt (14 Tunnel, 16 Viadukte – teils zweistöckig – sowie über 100 Brücken & Durchgänge auf einer Streckenlänge von 40 km), die seit ihrer Er­bau­ung kaum nennenswerte Nachbesserungen erforderte.

In 30 Tagen um die Welt, 50. Tag

.. Aderklaa in der Gegend

Aderklaa ist eine kleine Gemeinde im niederösterreichi­schen March­feld und hat 196 Einwohner, sowie ein eigenes Ge­mein­dewappen.

Erstmals urkundlich erwähnt wurde Aderklaa im Jahre 1258 in einem »Verzeychniß allerley erwæhnungsunwerther Orthschaften, sæmmetliche mit eynem A beginnen«.
Die Gegend rund um Aderklaa besteht ausschließlich aus Gegend, es gibt keine Sehens­wür­digkeiten. Einzige Sehenswürdigkeit in Aderklaa wäre der Bahnhof, wenns dort einen ge­ben würde. Gibts aber keinen.

(Der Vorschlag »Verbringen Sie Ihren Urlaub in Aderklaa« erscheint ähnlich bizarr wie »Ver­bringen Sie Ihren Urlaub auf dem Kundenparkplatz eines Abholgroßmarkts«.)

In 30 Tagen um die Welt, 49. Tag

..  Spaziergang in Favoriten:
Zu den sehenswürdigsten Wiener Bezirken zählt der 10. Hieb grad nicht, aber inmitten rundum verbauten Stadt- & Industriegebietes liegt der Wienerbergsee, eine ehemalige Zie­gel­gru­be, die nach der Stillegung mit Grundwasser vollgelaufen ist. Früher konnte man vom Wienerbergsee aus lediglich den Favoritner Wasserturm sehen, erbaut aus Wienerberger Ziegeln zur vorletzten Jahr­hun­dert­wende und lediglich zehn Jahre lang in Betrieb, weil er durch die Fertigstellung der II. Wiener Hochquellenwasserleitung draufhin wieder nutzlos wurde. Hundert Jahre später wurde die Wienerberg-City mit dem Vienna Twin Tower errichtet (von derselben Firma Wienerberger, welche seinerzeit die Lehmgrube ausge­hoben hat und heute der weltweit größte Zie­gel­pro­du­zent ist), und seitdem sieht man vom Wie­nerbergsee auf die Skyline von Favoriten.

Noch Anfangs der 80er-Jahre war das über hundert Hektar große Areal eine brachliegende Gstetten, die von der Gemeinde Wien zur Schuttablagerung genützt wurde. Heute ist es Landschaftsschutzgebiet und Lebensraum vielfältiger Flora und Fauna, darunter einige auf der Roten Liste stehende Arten wie Sumpfschildkröten und vielerlei Schilf­brüter. Man möchte gar nicht meinen, dass man hier ringsum von einer Großstadt umgeben ist. Im Grünen, aber doch nicht am Land.

In 30 Tagen um die Welt, 48. Tag

..  Mexiko, ehemals Reich der Azteken

Bis zur Ankunft der Europäer herrschten über Mexiko und weite Teile Zentralamerikas die Azteken, ein äußerst krie­ge­ri­sches Volk mit selt­sa­men Göttern mit seltsamen Namen.

Ihr oberster Kriegsgott hieß Huitzilopochtli alias Vitzliputzli, das bedeutet übersetzt »Keine dummen Witze über meinen Namen, sonst gibts Ärger«. Eines Tages kroch besagter Huitzi­lo­pochtli alias Vitzliputzli, der die Gestalt einer gefiederten Schlange hatte, in seinen eigenen Hintern hinein und verschwand darin, und ward seither nimmer gesehen.
Oder sein Kollege Tlahuizcalpantecuhtli, das bedeutet übersetzt »Wer meinen Namen falsch buchstabiert, schreibt ihn zur Strafe hundertmal an die Tafel«: laut aztekischer Mythologie ver­sucht Tlahuizcalpantecuhtli die Sonne mit einem Pfeil abzuschießen, schießt aber daneben und trifft sich selber. Wer solche Götter hat, braucht sich über nix zu wundern.
(Der Axolotl, ein mexikanischer Grottenmolch, wurde von den Azteken ebenfalls als Gott ver­ehrt, von daher erklärt sich der Begriff »Molch der frommen Denkungsart«. Was die Azteken im übrigen nicht daran hinderte, den Axolotl mit Vorliebe zu ver­spachteln. Der Name Axolotl bedeutet übersetzt »Tier das noch dämlicher aussieht als es heißt«.)

Dass es dem spanischen Conquistador Hernándo Cortés mit einem mickrigen Trüppchen un­dis­ziplinierter Hallodris gelingen konnte, die übermächtige militante Hochkultur der Azteken vernichtend zu besiegen, lag an einem unheilvollen Missverständnis, weil sich nämlich das Wort für »Alarm!« in der Aztekensprache fast genauso anhört wie das für »Frühstückspause«. Als die Wachen beim Angriff der Spanier auf aztekisch zum Alarm aufriefen, verstanden das die Krieger irrtümlich als Aufruf zur Brotzeit und verließen ihre Stellungen, um zur Kantine abzurücken und sich ihren Axolotl-Snacks zu widmen. So kam es, dass die Spanier gewannen.
Heutzutage herrschen in Mexiko nimmer die Azteken, sondern die Drogenbarone.

In 30 Tagen um die Welt, 47. Tag

  .. von Polen nach Piemont

Von Polen mit einer Ladung tiefgefrorener Kirschen runter nach Alba im Piemont. Aus Alba kommen die weltbekannten Kirschpralinen, die mit der Piemont-Kirsche®. Pro Jahr werden davon weltweit mehr als 100.000 Tonnen verkauft. (Man möchte ja meinen, der ganze Piemont müsse voller Kirschbäume sein, damits genug für die Pralinen gibt – ist aber nicht: Kirschbäume stehen dort nicht mehr herum als bei uns, dafür ist der ganze Piemont voller Haselnuss-Plantagen.)
In Alba reifen unter der mediterranen Sonne die Piemont-Kirschen® heran  werden die pol­nischen Tiefkühlkirschen aufgetaut und die weltbekannten Kirschpralinen damit hergestellt.
Von Turin mit einer Ladung tiefgefrorener italienischer Schweinshaxen rauf ins Münsterland. Im Münsterland wird der weltbekannte Westfälische Schinken hergestellt.

In 30 Tagen um die Welt, 46. Tag

  .. von Gsiberg nach Pembroke Dock

Von Vorarlberg mit drei Stück 6-Tonnen-Gabelstaplern unterwegs nach Pembroke Dock in Südwest-Wales. Waliser und Vorarlberger haben gemeinsam, dass außer ihnen selber kein Mensch ihre Sprache versteht. Mit dem Unterschied, dass man sich mit einem Waliser in einer lebenden Fremdsprache verständigen kann, z.B. auf Englisch. Das geht in Vorarlberg nicht. Mit den Vorarlbergern kann man sich zwar in einer lebenden Fremdsprache verständigen, z.B. auf Deutsch, aber nur in Schriftform. Sprechen tun sie es grundsätzlich nicht. Wenn man von einem Vorarlberger was wissen will, muss man sich die Antwort von ihm per SMS schicken lassen, auch wenn er direkt neben einem steht.
(Sagt mir z.B. der Disponent am Telefon: »In Zischdig häsch’ g’höri zitig z’Lutrach z’si bi d’Ih­fuhr­verzollig.« [oder so ähnlich.] – Sag ich, er solls auf Deutsch wiederholen, sagt er: »In Zischdig häsch’ g’höri zitig z’Lutrach z’si, bi d’Ihfuhrverzollig!« [oder so ähnlich.] – sag ich, er soll mir eine SMS schicken. Schreibt er: »Dienstag früh Lauterach Einfuhrverzollung«, und jetzt versteh ich was er meint.)
Die Abladeadresse ist eine Firmenhalle, noch im Rohbau. Laderampen sind noch nicht fertig, wie soll man die Gabelstapler vom Lkw abladen? Also ruft der zuständige Mann dort in seiner Firmenzentrale an, wie das Problem zu lösen sei. Ich versteh kein Wort davon, was da am Te­le­fon auf walisisch besprochen wird, aber der Mann erklärt mir anschließend amüsiert, was ihm die in der Zentrale gesagt hätten:
Wir sollten einfach warten, heute müsse eh ein Lkw aus Österreich mit einer Ladung Gabel­stapler eintreffen, und mit den neuen Gabelstaplern könne der Lkw sodann entladen werden: der Lkw aus Österreich, der bereits am Hof steht. Mit der Ladung Gabelstapler drauf. Münch­hausen, der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht – kein Wunder, dass der Mann über das Telefonat recht belustigt war.
(Schließlich rückte dann ein Autokran von einer Kranverleih-Firma an, der lud die Gabel­stap­ler ab.)

In 30 Tagen um die Welt, 45. Tag

  .. von Lednické Rovne nach Kairouan

Globalisierung, noch ein Beispiel: der koreanische Automobilzulieferer Y. stellt in der slo­wa­ki­schen Pampa eine Werkshalle in die grüne Wiese, dafür kassiert er diverse Subventionen aus Brüssel, EU-Randzonenförderung usw. Dann startet der Pendelverkehr:
Vorletzten Donnerstag übernehme ich dort oben eine Komplettladung leere Plastik­boxen, leere wohlgemerkt, damit gehts zum Zoll nach Bratislava. Anschließend weiter nach Genua, Freitagabend geht die Autofähre nach Tunis.
Im tunesischen Filialwerk werden die Plastikboxen mit Auto-Zubehörmaterial gefüllt, pro­du­ziert von emsigen, fröhlichen & plauderfreudigen maghrebinischen Mädchen in 12-Stunden-Fließbandschichten, 6 Tage die Woche, für umgerechnet rund 120.– €uro Monatslohn. Die maghrebinischen Männer tun nix, die sitzen herum und trinken Pfefferminztee und schauen ihren Mädels beim Malochen zu. Dazwischen läuft ein halbes Dutzend koreanischer Werks-Manager herum, mickrige kleine gelbe Männlein in Kunstfaser-Anzügen mit Zigaretten im Mundwinkel und demonstrativ zur Schau getragener grimmiger Verächtlichkeit gegenüber all den einheimischen Arbeits-Sklavinnen, Herumsitzern & Teetrinkern, österreichischen Fern­fahrern und dem Rest der Welt gleichermaßen.
Zurück nach Europa. (in Genua zwickt es manchmal – bleibe zwei Tage im Zollhafen hängen, kann passieren. Meistens dauerts am Zoll kaum ein, zwei Stunden, aber gelegentlich gibts Stichkontrollen wg. Schmuggeltransporten/illegalen Immigranten usw. Macht nix, spaziere ich derweil zwei Tage in Genua herum, sehenswerte Stadt. Kolumbus wurde hier geboren.)
In der slowakischen Filiale der Firma Y. wird das tunesische Automaterial entladen, mit (wie sich wohl vermuten lässt) »Made in EU«-Ursprungszertifikaten aufgebrezelt, wiederum ver­laden und an verschiedene europäische Autohersteller ausgeliefert. Ich aber fasse eine neue Ladung leere Plastikboxen aus, und los gehts wieder an den Maghreb runter, nächste Runde.

In 30 Tagen um die Welt, 44. Tag

  .. von Novo Mesto nach Rotterdam

Letzte Woche in Novo Mesto (Slowenien) einen Container nach Rotterdam geladen, Ladung bestimmt für Island.
Verlader spricht recht gut deutsch, fragt mich: »Fahren Sie direkt nach Island zum Abladen?«
Sag ich: »Eher unwahrscheinlich.«
(Vielleicht hat er in der Schule Deutsch statt Geografie gehabt ;)

In 30 Tagen um die Welt, 43. Tag

.. in der Steiermark: seltsame Laute

»Österreicher und Deutsche unterscheiden sich voneinander
durch ihre gemeinsame Muttersprache.« sagte Karl Farkas.

Aber die Steirer – woran unterscheiden wiederum die sich von den Restösterreichern? Eine Mutter-»Sprache« per definitionem kann das Steirische wohl kaum sein, denn wärs eine Sprache, tät man das sicher bemerken. Wenns aber keine Sprache ist, wodurch sich die in der Steier­mark artikulieren, was ist es dann? Gute Frage.
(»Liptauersemmel« etwa heißt auf stoasteirisch »Taoupf’mkaasbaounzal«.)
(und wenn ein Steirer »oaschboat«, dann tut er durchaus nix Unanständiges ;)
(Ein Arbeitskollege von mir, Stoasteirer seines Zeichens, berichtete uns eines Tages er habe sich ein neues Auto angeschafft, einen VW Rapid nämlich.
VW Rapid? – hatten wir noch nie gehört, was für ein Auto solle das sein?
Na, ein VW Rapid halt!, beharrte unser Stoasteirer, sehe man doch eh alle arschlang. Wir gingen auf den Parkplatz raus, um uns sein neues Auto anzuschauen,
und dort stand: ein VW Golf Rabbit.)

In 30 Tagen um die Welt, 42. Tag

.. letzte Woche im Burgenland: Käse Bohnen

Sachen gibts – da gibts zum Beispiel in K. bei Güssing im Süd­bur­gen­land ein Imbiss-Espresso, mit dem seltsamen Namen: »Cheese Beans«

Letzte Woche trink ich dort einen Kaffee und frag das Mädel hinter der Bar, was der Name bedeuten soll. Erklärt sie mir, dass das Lokal ihr und ihrer Cousine gemeinsam gehört, und weil sie beide halt kesse Bienen seien, wäre es nach seinen Besitzerinnen benannt. Und weil sichs cooler anhört, sollte der Lokalname englisch sein.
»Bienen auf englisch haben wir selber gewusst,« erzählt sie, »und wegen kesse haben wir meinen Schwager angerufen, der kann englisch und hats uns am Telefon übersetzt.«
Cheese!

In 30 Tagen um die Welt, 41. Tag

.. Tulln, Zuckerstadt an der Donau

Aus Tulln kommt der Zucker. Haben Sie gewusst, dass Zucker einen Ge­ruch hat?

Die Zuckerfabrik steht mitten in Tulln, und bei Nie­der­druckwetter hängt der Zuckergeruch über der ganzen Stadt – die Tullner Luft riecht süß. Der Tullner Zucker wird in Tank­con­tai­­ner abgefüllt und geht auf die Reise, z.B. nach Vorarlberg am schönen Rhein.


Mit 25 Tonnen Zucker gehts nach Vorarlberg ..

In Vorarlberg zuckern sie ihr Wasser damit, füllen es in Tetrapaks und verkaufens als Eistee. So geht wiederum das mit dem Tullner Zucker gezuckerte Vorarlberger Wasser auf die Reise: unter anderm z.B. auch nach Tulln an der schönen Donau.


.. mit 25 Tonnen Zuckerwasser gehts retour nach Tulln.

In 30 Tagen um die Welt, 40. Tag

  .. von Zwettl nach Bukarest

Wieder mit einer Fuhre Erdäpfel unterwegs, aus dem Waldviertel nach Bukarest.
Rumänische Erdäpfel sind für gewöhnlich relativ klein, naturbelassen, mit dicker schrumpeliger Schale und gutem Geschmack. Die Waldviertler Erdäpfel: riesengroß, mit chemischem Dünger & Pes­ti­zi­den künstlich hochgezüchtet, hauchdünne Schale, wenig Nährstoffe, so gut wie ge­schmack­los. Kaum viel mehr als aufgepuschte Zellulose & Wasser. Und wesentlich teurer. Aber: we­ni­ger Arbeit beim Schälen, und deshalb kaufen sie die Rumänen lieber, wie mir der Groß­händler erklärt.
Der Gemüsegroßmarkt in Bukarest ist ein großer staubiger Platz, bevölkert von zahllosen streu­nenden Hunden, die Erdäpfel werden palettenweise direkt vom Lkw runter verkauft. Der­weil ich nebenan in der Marktkantine frühstücke, danach ein Schläfchen, nach kaum zwei Stunden ist der Lkw entladen. 25 Tonnen Erdäpfel aus Zwettl auf dem Weg in rumänische Koch­töpfe.
(Retourladung gibts diesmal keine, Leerfahrt zurück. Montag gehts wieder runter, gleiche Tour nochmal.)

In 30 Tagen um die Welt, 39. Tag

.. von Südamerika nach Hawaii

Das giftigste landbewohnende Amphibium, wenn nicht das giftigste Tier überhaupt, ist der südamerikanische Schreckliche Pfeilgiftfrosch.

Der heißt wirklich so. Bereits vor der Erfindung von Pfeil & Bogen verwendeten die in­di­ani­schen Ureinwohner Pfeilgiftfrösche als tödliche Waffen, indem sie ihre Feinde damit bewarfen oder sie ihnen heimlich ins Müesli mischten.
Außer in Südamerika gibts noch eine weitere, allochthone (= ursprünglich dort nicht be­hei­ma­tete) Population von Pfeilgiftfröschen auf Hawaii. Weils auf der Südseeinsel vorher keine gab, wurden die hochgiftigen Frösche Anfang des 20. Jahrhunderts von Menschenhand künstlich dort angesiedelt, was natürlich eine mords schlaue Idee war. Mittlerweile haben die alloch­tho­nen Giftlurche in ihrer neuen Heimat zahlreiche heimische Arten verdrängt, von daher stammt die hawaiianische Redensart »Lurch Schaden wird man klug.«

In 30 Tagen um die Welt, 38. Tag

  .. von Odessa nach Purkersdorf

Was importieren die Bayern aus Ägypten? Ratet mal. Das gleiche was die Österreicher in die Ukraine exportieren. So läuft das mit der Globalisierung. Letzte Woche, zum Beispiel:
Eine Ladung Erdäpfel kommt aus Ägypten per Schiff übers Mittelmeer nach Ancona an der Adria, dort krieg ich sie auf den Lkw umgeladen. Mit 25 Tonnen ägyptischer Erdäpfel gehts über den Brenner zum Großmarkt München. Klar wachsen auch in Deutschland genug Erd­äpfel, aber in Ägypten sind sie billiger.
Tags darauf im Innviertel/Oberösterreich: eine Ladung für Odessa, Ukraine. Nämlich 25 Tonnen Erdäpfel. Mit den Innviertler Erdäpfeln gehts ans Schwarze Meer – bizarr, nichtwahr. Klar wachsen auch in der Ukraine genug Erdäpfel, aber in Österreich sind sie billiger.
(Retourladung in Galaţi, Rumänien: eine Ladung Eichenrundholz nach Purkersdorf im Wie­nerwald. Klar wachsen auch im Wienerwald genug Eichen, aber so läuft das halt.)
Warum die ägyptischen Erdäpfel nicht in Odessa an Land gehen, die Innviertler Erdäpfel nicht einfach nach Bayern rüber geworfen und die Eichen nicht gleich im Wienerwald vor der Haustür gefällt werden, hat alles seine Logik. Und Logistik.


Rumänien: der kleine Gigerer (Pfeil) muss die Stämme aus dem Wald ziehen, dann werden sie nach Österreich geschafft. Was für die Lkw-Verladung zu lang ist, wird abgeschnitten.

In 30 Tagen um die Welt, 37. Tag

  .. von Monfalcone nach Bremerhaven

In Monfalcone für Bremerhaven geladen, Dispo sagt mir Entladeadresse am Handy durch, als ich mit den Italienern grad Kaffee trinke, ich höre:

    Disponent: “Senator Porcella-Straße.“
    Ich: “Porcella, wie sichs anhört?“
    Dispo: “Mit doppel T.“
    (doppel T?) Ich: “Mit doppel L, Senator Porcella?“
    Dispo: “Doppel L, ja. Wie sichs anhört.“

Und die Italiener, die mir beim Telefonieren zuhören, amüsieren sich drüber. Porcella ist italienisch und heißt Schweinchen, zugleich ein derber Ausdruck für das weibliche Genital. Senator Porcella, was für alberner Name. Wieso nennen die in Bremerhaven eine Straße nach so jemand.
(Besagte Straße schreibt sich tatsächlich mit doppel T, wie sich herausstellte, nämlich Se­na­tor-Borttscheller-Straße. Liest sich freilich nicht halb so albern wie sichs anhört. *)
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*) (apropos albern, deutscher Kollege fragt mich in Wien mal: wie er nach “Dämlicher Hafen“ komme?) (der meinte den Alberner Hafen :)

In 30 Tagen um die Welt, 36. Tag

.. von Amsterdam nach Zandvoort

Im Amsterdamer Hafen gibts ein schwimmendes chinesisches Restau­rant, mit drei Stock­werken. In allen drei Stock­werken wird das gleiche Essen serviert, gleiche Speisen, gleiche Portionen, in der gleichen Küche zubereitet. Aber:  im ersten Stock kostet es das doppelte wie im Erdgeschoß, im zweiten Stock das dreifache. Warum das so ist, weiß man nicht. Es lässt sich beobachten, dass im Erdgeschoß kaum Gäste essen, auch im ersten Stock nur relativ wenig. Dafür herrscht im obersten Stockwerk, wo das Essen dreimal so teuer ist, stets dichtes Gedränge, Tische nur nach Reservierung.
Merkwürdige Leute, die Chinesen.

Amsterdam, “Venedig des Nordens“ – In Amsterdam gibt es insgesamt 165 Kanäle, mehr als in Venedig. Die berühmten Kanäle, die das Amsterdamer Stadtbild prägen, sind äußerst malerisch. Und unpraktisch. Durchschnittlich fällt jede Woche min­de­stens ein Auto in einen Kanal. (die Amsterdamer Kanäle, heißt es, sind: “durch­schnittlich 3 Meter tief: 1½ Meter Autos und 1½ Meter Wasser.“)

In den 60er-Jahren ging man daran, zahlreiche Kanäle mit Sand zuzuschütten. Zufällig gabs in Zandvoort grad eine Düne günstig im Sonderangebot, die kauften die Amsterdamer den Zandvoortern ab. Um den Zandvoorter Dünensand, den sie in ihre Kanäle kippten, nach Amsterdam zu schippern, gruben sie einen 30 Kilometer langen – erraten: Kanal.

In 30 Tagen um die Welt, 35. Tag


.. Amsterdam (II)

Amsterdam liegt in einem Moorgebiet, die Häuser wurden auf Holzpfählen er­baut, welche mit der Zeit im Moor versinken. Deshalb stehen alle Häuser schief.

Sollte man meinen. Tatsächlich standen die allermeisten Häuser noch nie gerade, sondern wurden von vornherein schief gebaut, mit Absicht. Das kam so: der erste Amsterdamer baute sein Haus mit nach außen vornüberkragenden Fassaden. So konnte er bei Regenwetter außen rund ums Haus laufen, ohne nass zu werden. Der zweite fand das für eine tolle Idee und machte es dem ersten nach, undsoweiter. Jeder neue Bauherr richtete seine Fassade per Augenmaß nach der seines Nachbarn aus. Eines Tages kam ein Schlau­meister mit einer Wasserwaage daher und baute das erste gerade Haus in Amsterdam. Mit dem optischen Effekt, dass es als einziges geradestehendes Haus in dem durchgehend windschiefen En­sem­ble völlig schräg aussah – als würde es nach hinten kippen. Dennoch setzte sich der neue Bau­trend durch und die Amsterdamer gingen nunmehr dazu über, allenthalben gerade Häuser zu bauen. Welche alsbald wieder schief standen, weil sie ja im Moorboden einsanken, siehe oben.
Fenster und Türstöcke gehen in dem sich verziehenden Mauerwerk ständig aus den Fugen und müssen nach Naturmaß neu eingepasst werden, für Zimmerer und Tischler ist Am­ster­dam eine einzige Herausforderung.
Das einzige, was in Amsterdam zuverlässig gerade steht, ist der Wasserspiegel:


(morgen: Wie die Amsterdamer den Zandvoortern eine Düne abkauften.)

In 30 Tagen um die Welt, 34. Tag

.. Amsterdam

In Peking, so weiß die Statistik, gibt es neun Millionen Fahrräder. Und fünf­zehn­einhalb Millionen Einwohner. Dagegen hat es in Amsterdam nur knapp eine drei­viertel Million Einwohner, aber reichlich über eine Million Fahr­räder.

Die statistische Fahrraddichte in Amsterdam ist somit mehr als doppelt so hoch wie in Peking. Es gibt eigene Parkhäuser für Fahrräder. Fahrräder heißen auf niederländisch übri­gens Fietsen. Ko­mi­sches Wort.

Am Amsterdamer Bahnhof gibt es drei Warteräume: Erste Klasse, Zweite Klasse, und einen für den König. Falls der König mal mit der Eisenbahn fahren will und zu früh dran ist.

Die Amsterdamer haben bekanntlich keine Vorhänge: man wundert sich über die zahllosen an­einandergereihten Auslagen von Einrichtungsfachgeschäften in allen Gassen – bis man da­hin­terkommt, dass es sich um lauter private Wohnzimmer handelt, in die man blickt. Sollte man den­noch an einem Fenster einen Vorhang entdecken, dann ist der womöglich nur auf­ge­malt.

In den Grachten (Kanälen) gilt ein rigoroses Tempolimit für Boote, was von der Am­ster­damer Wasserpolizei mit Radarpistolen unerbittlich überwacht wird.

In 30 Tagen um die Welt, 33. Tag

.. Deutschland, der Verkehr

»Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um recht zu haben. Rücksicht nehmen? um die entscheidende Spur nachgeben? auf­lockern? nett sein, weil das praktischer ist?… nichts davon. Mit einer Stur­heit, die geradezu von einem Kasernenhof importiert erscheint, fährt Wagen gegen Wagen, weil er das “Vorfahrtrecht“ hat – sie haben ja alle so recht! Denn Ordnung muss sein, und anders können sie sich Ordnung nicht vor­stellen – wo ich fahre, da fahre ich! – ums Verrecken bremst er nicht.
Es ist keine Ordnung. Es ist organisierte Rüpelei.«

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(Kurt  Tucholsky, “Der Verkehr“ 1929)

In 30 Tagen um die Welt, 32. Tag

.. die Steinerne Bibel von Schöngrabern
In Schöngrabern im nördlichen Weinviertel (Niederösterreich) fin­det sich ein höchst un­ge­wöhn­licher Solitär mittelalterlicher sak­raler Kunst am Bau, die so­ge­nann­te Steinerne Bibel an der Apsis der ro­ma­ni­schen Pfarrkirche aus dem frühen 13. Jhdt.

Über Sinn oder Bedeutung der Figurendarstellungen auf den Reliefsimsen herrscht unter Fachleuten Uneinigkeit, offenkundig handelt es sich um Illustrationen zum Alten und Neuen Testament. Manche deuten sie als »biblia pauperum«, als Armenbibel für alle, die keine Bibel daheim haben oder nicht lesen können: denen sollen die Bibeltexte auf dem Wege bildlicher Darstellung vermittelt werden, quasi die Heilige Schrift als 3D-Comix. (schwer nach­voll­zieh­bare Theorie: was, bitte, sollte ein mittelalterlicher Analphabet aus den Bildern heraus­lesen, wenn er die Originalstory nicht kennt. Wenn es bis heute nichtmal den Fachleuten gelingen will, die Darstellungen schlüssig zu interpretieren.)

Die Spekulationen über die Bedeutung der Schöngrabener Reliefs gehen weiter.


(Mitte: »Kasperl & Pezi hauen das Krokodil«)

In 30 Tagen um die Welt, 31. Tag

.. Afrika

Die Bedeutung der Rolle Afrikas in der Weltgeschichte darf nicht un­ter­schätzt werden, erstens stammt der Homo sapiens aus der Gegend, was schon mal nicht unerheblich ist.

Zweitens, wäre Afrika nicht auf dem See­weg nach Indien im Weg gewesen, dann wäre ein Kolumbus gar nicht auf die Idee gekommen, nach Westen loszusegeln, und Amerika wäre wo­mög­lich bis heute nicht entdeckt. Ohne den schwarzen Kontinent, die Wiege des Homo sapiens, hätte es genaugenommen überhaupt keinen Kolumbus gegeben, weil der war ja auch einer. Alles Ansichtssache, wie man sieht.

(apropos Ansichtssache: Europäer pflegen ein Zebra gemeinhin als weißes Tier mit schwar­­zen Streifen zu definieren. Afrikaner dagegen als schwarzes Tier mit weißen Streifen. So erzählt der große Stephen Jay Gould.)

(Warum die Nashörner in Afrika nicht fliegen können, lässt T. C. Boyle in seinem Roman »Wassermusik« einen afrikanischen Halbwüchsigen erklären:  weil die so riesige Haufen machen. Würde nun ein Nashorn im Flug so einen riesen Haufen einem Menschen auf den Kopf fallen lassen, würde der das bestimmt nicht so toll finden. Und darum hat’s der weise Herrgott so eingerichtet, dass sie nicht fliegen können. Aus vernünftigem Grund also.)

In 30 Tagen um die Welt, 30. Tag

.. in der Schweiz

»Die Schweiz ist ein exotisches Land, wo man trotzdem ohne Jetlag hinfliegen kann.« (Alfred Dorfer) Auch die Sprache ist exotisch:

Letzte Woche will ich in einer Einkehrwirtschaft in Winterthur eine Suppe bestellen, sagt die Kellnerin: »D’ Supp’n isch fertig.«
»Fein,« sag ich, »Suppe nehm ich.«
und die Kellnerin: »D’ Supp’n isch fertig!«
Ich: »Gut. Ich nehm eine.«
Kellnerin: »Ab’r d’ Supp’n isch fertig !!«
Ich: »Dann her damit.«
Kellnerin: »D’ Supp’n isch FERTIG !!! du Hornochs!«
Ja, die Schweizer – »Essen ist fertig« sagen die anstatt »Essen ist aus«.
Seltsame Sprache.
Es mag verwunderlich erscheinen, warum die Schweizer kein verständliches Deutsch reden wie andere Leute anderswo, wir Österreicher zum Beispiel:
Gestern mittag will ich in Wien ein Gulasch bestellen, aber der Wirt sagt:
»Gulasch is gar. Derf ’s was anders sein?«
»Essen ist gar« sagt man in Österreich für »Essen ist aus«, wie jedermann weiß.
Darum versteht man die Österreicher auch besser als die Schweizer.

In 30 Tagen um die Welt, 29. Tag

.. von Lainz nach HaWei

Wie Hadersdorf-Weidlingau zu seinem Namen kam:

Im elfhundertzwoundneunzigsten Jahre d. H. trug es sich zu, dass Kaiser Friedrich Bar­ba­rossa auf der Heimkehr aus dem Heiligen Land, allwo er gegen die Heiden und Mame­lucken gefochten, vor den Toren Wiens Rast hielt. Korrigiere: nicht Kaiser Rotbart, König Löwenherz wars. König Löwenherz also hielt Rast, stets dabei sein getreuer Knappe, der Sänger Blondel. Knappe Blondel nahm seinem Herrn die Lanze ab und lehnte sie an einen Haselnussstrauch.
“Wo ist meine Lanze, Knappe?“ fragte der König, als sie wieder aufbrachen, und Blondel wies auf den Haselnussstrauch und, sintemalen wir uns im Mittelalter befinden, sprach:
“Dort laint s’.“
“Wie heißt dieser Ort?“ begehrte der König zu wissen.
“Er hat keinen Namen, Herr.“ tat Blondel kund.
“So lasset uns denn,“ sprach König Löwenherz, “jenen Ort fürderhin Lainz nennen.“
Und sie zogen von hinnen.
Als sie nun abermals Rast hielten, da nahm Blondel seinem Herrn wiederum die Lanze ab und lehnte sie an einen Haselnussstrauch, kennen wir schon. Abermals fragte beim Aufbruch der König: “Wo ist meine Lanze, Knappe?“, und Blondel wies auf den Strauch:
“Dort laint s’.“
“Und wie heißt dieser Ort?“ begehrte der König zu erfahren, und Blondel tat kund: “Er hat keinen Namen, Herr.“
“Wohlan,“ sprach darauf König Löwenherz, “so lasset uns jenen Ort fürderhin Lainz nennen.“
“Vergebt, Herr,“ wandte indes Blondel ein, “doch Lainz nanntet Ihr bereits einen Ort.“
König: “Lainz hatten wir schon?“
Blondel: “So ist es, mein König.“
“Nun denn,“ entschied darob König Löwenherz, “so lasset uns jenen Ort fürderhin Ha­ders­dorf-Weidlingau nennen.“
Und sie zogen von dannen.

In 30 Tagen um die Welt, 28. Tag

.. von Iaşi nach Satu Mare: Via mala

Manches ist merkwürdig in Rumänien, Papiergeld hat z.B. durchsichtige Gucklöcher, und Neu­­jahr ist dort gleich zweimal hintereinander, nämlich am 1. und am 2. Jänner nochmal. Warum, ist nicht bekannt.
Von Iaşi nach Satu Mare überquert man den Nordkarpaten-Hauptkamm, über der Baum­grenze. Letzte Woche hatte es dort einen viertel Meter Neuschnee, musste wieder mal die Schnee­ketten auspacken. Graf Dracula stammt aus der Gegend.
An der Strecke liegt auch eine Ortschaft namens Humor, und den hat man angesichts der dortigen Straßenzustände bitter nötig.
In Rumänien gibts zwei Autobahnen, sie tragen sinnigerweise die Nummern A1 und A2 und führen von Bukarest in östliche & westliche Richtung – jeweils ungefähr eine Fahrstunde weit. Dann enden sie unvermittelt in der Pampas. Die Straßen mit den grünen E-Nummern werden als “europäische Fernverkehrswege“ klassifiziert. Seit 1. Jänner ist auch Rumänien in der EU, an den Europa-Fernstraßen wird gearbeitet: manche Teilstrecken sind sogar bereits as­phal­tiert – naja, jedenfalls auf einer Fahrbahnhälfte.
Die Brücken sind manchmal bissel schmal, gelegentlich gibt es Gegenverkehr.
Beschrankte Bahnübergänge sind die Ausnahme. Auch Stau kann vorkommen.
Überfahrene Hühner, Enten, Gänse undsoweiter werden aufgesammelt und landen im Koch­topf, überfahrene Hunde werden liegen gelassen. Esel, Pferde, Ochsen u.ä. zu überfahren sollte man vermeiden.
Für die meisten herkömmlichen GPS-Navigationssysteme ist Rumänien übrigens Terra in­cog­nita, vielleicht biegt der Satellit ja vor der Grenze ab und fliegt lieber woandershin. Ab­ge­sehen von den “europäischen Fernverkehrswegen“ gibts dort aber eh kaum befahrbare Straßen, wo ein vernünftiger Mensch was zu suchen hätte, zur Not kann man sich durch­fragen.
(Tipp für Autofahrer: fahren Sie in Rumänien grundsätzlich niemals über einen Kanal­deckel. Es könnte sein, dass keiner da ist. Altmetall ist in Rumänien kostbar, und Alt­me­tallsammeln eine populäre Nebenerwerbsquelle.)

In 30 Tagen um die Welt, 27. Tag

.. von Hollywood nach Long Beach

Im Dezember 1976 filmte ein Kamerateam der Universal Studios im Nu-Pike-Vergnügungspark von Long Beach/Kalifornien für eine Episode der TV-Serie “Ein Colt für alle Fälle“ (mit Lee Majors).

In einer dunklen Ecke des Gruselkabinettes entdeckten die Film­leute eine verstaubte Schau­fen­ster­puppe, die mit fluoreszierender Farbe bestrichen war und schaurig aufleuchtete, wenn sie von einer UV-Lampe angestrahlt wurde. Weil die Puppe bei den Dreharbeiten im Weg war, ergriff sie ein Techniker am Arm, um sie beiseite zu schaffen. Dabei brach der Arm der Puppe ab, und ein echter mensch­licher Armknochen ragte heraus.
Es stellte sich heraus, dass es sich bei der vermeintlichen Schaufensterpuppe um die originale Mumie des 1911 in einem Feuergefecht erschossenen Bankräubers Elmer McCurdy handelte: seine einbalsamierte Leiche war danach jahrzehntelang in ver­schiedenen Kurio­si­tä­ten­ka­bi­netts im Westen der USA ausgestellt gewesen. Aber nach dem Tod des Schau­stellers, in dessen Besitz sie sich zuletzt befunden hatte, war in Vergessenheit geraten, welche Bewandtnis es mit der bemalten “Puppe“ tatsächlich auf sich hatte.