Nostalgisches

7. März – Im Telephonmuseum

Heute vor 147 Jahren, am 7. März 1876, erteilte das US-Patentamt Herrn Alexander Graham Bell ein Patent auf seine Erfindung, den sogenannten Telephonapparat. Seinerzeit wurde Herrn Bells Erfindung aller­dings keine große Zukunft vorhergesagt: das Telephon, so las man in der Presse, werde sich in der Allgemeinheit vor­aus­sicht­lich nicht durchsetzen, da es ohne­hin genügend Boten­jungen gebe, um Nach­rich­ten zu übermitteln.

»In den Anfangszeiten der Fernsprechtechnik war es dem Benutzer eines Telefones nicht möglich, eine bestimmte Telefonverbindung zu einem anderen Anschluss selbst auf­zu­bauen. Um eine Verbindung zu bekommen, musste man die Vermittlungskraft im Fern­sprech­amt (umgangssprachlich das „Fräulein vom Amt“) mittels Betätigen eines Kurbel­in­di­ka­tors „wecken“ (dies war tatsächlich der offizielle Ausdruck für diesen Vor­gang). Dem Ver­mitt­lungs­personal teilte man sodann mündlich seinen Verbindungs­wunsch mit, wo­rauf dieses per Handvermittlung die Verbindung aufbaute.«  (Wikipedia)

Am 29. April 1913 aber wurde von der Fa. Siemens & Halske in Spandau der Nummernschalter mit Fingerlochscheibe für den Selbstwählbetrieb zum Patent angemeldet, Abb. rechts: manche jungen LeserInnen werden solcherlei antikes Artefakt in natura wahr­schein­lich gar nimmer kennen. Damit begann das Zeitalter der Selbstwähltelefonie.

Drei Jahre zuvor waren die ersten Astronauten auf dem Mond gelandet, aber bis ins Jahr 1972 gehörte Neulengbach im schönen Wienerwald zu den letzten Sprengeln im österreichischen Post-Telefonnetz, welche auf den Anschluss an den Selbstwählverkehr warten mussten. Bis da­hin hatten wir daheim ein schickes Kur­beltelefon ohne Wählscheibe, wie in Abb. links – noch Anfangs der 70er-Jahre, nicht gelogen. Wenn man jemanden anrufen wollte, musste man zuerst kurbeln, worauf sich das Fräulein vom Amt meldete. Der sagte man sodann die Nummer an, mit der man telefonieren wollte, und draufhin stöpselte sie die Verbindung zum gewünschten Teilnehmer durch. Wenn wir als Kinder beim Neulengbacher Postamt vorbeigingen, konnten wir durchs Fenster das Fräulein vom Amt mit ihren Kopfhörern sehen, wie sie da drinnen emsig am Klappen­schrank herumstöpselte. (Kennen Sie die Szene aus den alten “Lassie“-Schwarz­weiß­filmen? ;)
Das allerletzte österreichische Fräulein vom Amt war indessen ein Mann, am 14. Dezember Anno 1972 stellte er in Karlstein/Thaya im Waldviertel die letzte Telefon­verbindung durch manu­elles Stöpseln her.

(Als ich mir unlängst ein neues Handy anschaffte und dem Verkäufer-Jungspund er­zählte, dass mein erstes Handy noch eine Antenne zum rausziehen hatte, da schaute der mich an als käme ich geradewegs aus dem Kuriositätenkabinett. Das mit unserem Neulengbacher Kur­bel­telefon aus der Prä-Wählscheiben-Ära hätte der mir bestimmt nicht geglaubt.)

28. Oktober

Heute ist übrigens der Internationale Tag der Mitfahrgelegenheit, falls jemand nicht ge­wusst hat. (Nicht dass es wieder Beschwerden hagelt, ich hätt’s gewusst aber niemand verraten.)

Autostoppen war früher mal gang & gäbe, heutzutags sieht man Autostopper nur mehr sel­ten. Vor etlichen Jahrzehnten aber trampte ich mal mit meinem Mädel per Auto­stopp von Wien/Spinnerin am Kreuz bis nach Piräus/Griechenland und wir waren binnen zwei Ta­gen dort, nicht gelogen. Unterwegs lud uns ein freundlicher Lkw-Fahrer so­gar bei­de zu einem Imbiss ein, und von Spielfeld zur jugoslawischen Grenze ließ uns ein Landwirt auf seinem Traktor mitfahren. Dort nahmen uns zwei jointrauchende Deutsche in einem Mercedes mit, die in achsbrecherischem Tempo über den Autoput* bretterten als gäb’s kein Morgen mehr, und so kamen wir in einem Flutsch bis an die Ägäis.
Wiederum Jahrzehnte später war ich selber als Lkw-Fernfahrer unterwegs*, als mich auf ei­­ner ungari­schen Autobahntankstelle eine junge Autostopperin ansprach ob sie mitfahren dürfe. Erzählt sie mir in holprigem Englisch, dass sie aus Rumänien komme und nach Antwerpen trampen wolle wo ihr Freund, Küchengehilfe auf einem Kreuzfahrtschiff, dem­nächst für einige Tage anlanden würde und sie sich dort treffen wollten. Musste wahrhaft ei­ne große Liebe sein, dass sie dafür extra die lange Reise unternahm. Zu­fällig kam ich eben­falls grad aus Rumänien – aber, jetzt kommts: nämlich auf einer Tour via Oostende nach England. Heißt: so konnte sie in einem Stück bis Brüssel mit mir mitfahren, von wo es nach Ant­werpen nur mehr ein Katzensprung war zum Treffen mit ihrem Seefah­rerfreund. Bissel Glück muss man beim Autostoppen freilich haben.

17. September – Tag des Bades

Der offizielle Tag des Bades* findet jedes Jahr am dritten Samstag im September statt.
Der private Tag des Bades* fand einst traditioneller­weise ebenfalls am Samstag statt, frei­lich nicht nur einmal jedes Jahr, sondern mehrmals.

Abb.: Städtisches Amalien-Bad Wien X.,in “Wiener Bilder – Illustriertes Familienblatt“ (1927)
Weiland gab es in Wien, nebst mehrerer städtischer “Wannen-, Dampf- und Hallenschwimm­bäder“, in allen Stadtbezir­ken jeweils eine öffentliche Badeanstalt: sog. Städtische Volks­brau­sebäder (“Tröpferlbäder“), allwo dem gemeinen Volk Gelegenheit gebo­ten war, sich gegen ge­rin­ges Entgelt eine warme Du­sche angedeihen zu lassen. Mittler­weile bestehen nur noch fünf solcher Volksbrausean­­­stal­­­ten, sämtliche üb­rigen wurden im Lauf der Zeiten aufge­­las­sen und fielen der Gen­t­ri­fi­zie­rung anheim.
Am Wiener West- sowie Südbahnhof wurden die Duschbäder vor dem Umbau von den dorti­gen Bahnhofsfriseuren betrieben: die Duschkabinen befanden sich im hinte­ren Be­­­reich de­ren Eta­b­lissements, und um dahin zu gelangen hatte man unter Ge­leit des Friseurs zu­erst seinen Frisiersalon zu durchqueren, vorbei an der Reihe der Kundinnen, wel­che dort un­ter Trockenhauben saßen und von ihren Illustrierten aufblickten, um die am­bulanten Dusch­­­gän­ger einem Augenschein zu unterziehen.

Familiäres: Eine “Drillingsgeburt“

Mein jüngster Bruder, eine Cousine und ein Cousin werden in der Familie die “Drillinge“ ge­­nannt, das kam so:
Unsere Mutter und unsere Tante Eva waren weiland beide gleichzeitig hochschwanger, und weil der Onkel beruflich unterwegs war befand sich die Tante in Obhut unserer Oma am Kohlreith­berg im Wienerwald, als die We­hen einsetzten. Also marschierte die Oma hinüber zum Kohl­reithwirtshaus, wo es ein Telefon gab, und rief unseren Vater an: er möge mit dem Auto kommen, um sie zur Geburt zu fahren. Halb im Scherz fragte der unsere Mutter, ob sie etwa auch gleich mitfah­ren wolle, damit es in einem Auf­wasch ginge, doch die winkte ab: so weit wär’s bei ihr noch nicht. So startete der Vater sei­nen VW-Käfer und fuhr los, um die Tante vom Kohlreith dro­ben ab­zu­holen und zur Frauen­klinik nach Wien einzu­liefern. Als er aus Wien zu­rück­kehrte, war bei un­se­rer Mutter die Fruchtblase ge­platzt und er muss­te sie daraufhin nun eben­falls zur Klinik expedieren.
So kam es dahin, dass beide nebeneinander im Kreißsaal lagen und sich, nur durch einen Zwischenvorhang getrennt, miteinander unterhalten konnten. Unsere Mutter aber brachte meinen Bruder zuerst zur Welt, und keine halbe Stunde darauf die Tan­te dane­ben seine Cou­sine. Wenig später ließ sich nebenan hinter dem Vorhang Aufregung vernehmen: Hoppla, da kommt ja nochwas hinterdrein – das ist gar nicht die Nach­geburt! Tatsäch­lich stellte sich heraus dass die Tante mit Zwillingen schwanger ge­wesen war, was niemand geahnt hatte, und so kam zuletzt auch noch unser Cousin zur Welt. Des­wegen sind die drei sozusagen “Drillin­ge“, die zugleich auf die Welt kamen.
Unser Vater erzählte, dass ihn der Portier beim Verlassen der Klinik, nachdem er an einem Tag bereits zweimal eine werdende Mutter herbeigeschafft hatte, fragte ob er wohl heute nochmal mit einer daherkommen wolle?


(Oma & Opa, eine Cousine & div. Cousins)

22. Juni

Heute ist übrigens der Welttag des VW-Käfers.
Früher erkannte man die lässigsten Typen immer daran, dass sie die längsten Autoradio-An­tennen hatten:


(v. l. n. r.: VW-Käfer, Papa und Tante Marianne, 1959)

Heutzutags nur mehr schwer vorstellbar, wie wir seinerzeit vor einem halben Jahr­hundert die ganze Familie, Eltern plus 4 (vier!) Schratzen plus Gepäck, Koffer, Luftma­tra­t­zen, Liege­­­stühle u.v.m. in einem VW-Käfer an die Adria in Urlaub fuhren: durch­wegs über Bundesstra­­ßen, Südautobahn gabs dazumals noch keine. Mit luftgekühlten 34 (vier­unddrei­­ßig!) PS und Vollgas im zweiten Gang über den Südalpen-Hauptkamm: das wa­ren aben­­teuerliche Reisen.

Aufgeschnapptes

Aus der Reihe: “Unmutsbekundungen im Straßenverkehr

Gestern in Wien gehört wie ein Fußgänger älteren Jahrganges, als er die Straße über­que­ren will, einen Autolenker maßregelt weil der beim Einbiegen zu blinken verabsäumt:
    »Is da dei Reibmdeita eigaunga oda wos?!«
[Übers. f. Außerösische: »Funktioniert Ihr Blinker etwa nicht?«]

Abb.: Bis zum Baujahr 1960 waren auch VW-Käfer mit seitlich ausklappbarem Winker in der B-Säule als Fahrtrichtungs­an­zei­ger anstelle Blinkleuchten ausgestattet.
(»Reibmdeita« = mdal.: »Kur­vendeuter«)

13. Juni – Vatertag

Mein Vater war seinerzeit ein ausgesprochen fescher Kampel, ein humorvoller, groß­herziger und überaus fleißiger & anständiger Mensch. Leider starb er früh und lernte seine Enkel­kin­­der nimmer kennen, er wäre bestimmt ein fabelhafter Opa gewesen.

Wie mein Vater damals in den Fuffziger-Jahren meine Mutter kennenlernte: meine Mutter war in Hart am Kohlreith in der Einschicht daheim, eine Stunde Fußmarsch von Neu­leng­­bach im Wienerwald den Berg hinauf. Im Winter schulterte mein Vater seine Schi und mar­schierte zum Schifahren auf den Kohlreithberg, als er vor sich eine junge weibliche Person erblickte, die sich mit einem offenkundig ungeheuer schweren Koffer durch den Neuschnee plagte. Mei­ne Mutter hatte sich von ihrem ersten selbst­verdienten Geld eine Singer-Näh­ma­­schine ge­kauft, ein elendsschweres gusseisernes Trumm, und schleppte sie grad heim. Mein Vater holt sie ein und geht eine Zeitlang neben ihr und hört ihr beim Schnaufen zu, bis er schließlich fragt: »Ist der Koffer wirklich so schwer, oder tun Sie nur so?« – »Probieren S’ doch selber!« schnauft ihn meine Mutter wütend an, und mein Vater schnappt ihren schwe­ren Näh­ma­schi­nen­koffer und schleppt ihn, seine Schi auf der andern Schulter, hinauf bis nach Hart am Kohl­reith, wo er zuletzt selber vor Erschöpfung schnauft. Als er wieder zu Atem gekommen ist, verabreden sie sich zu einem Wiedersehen.
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(Beitrag von 2011)

Ghost Rider

Heute vor etlichen Jahrzehnten, am 3. Dezember Anno Neunzehnhundertschnee, fand in Neu­­lengbach im schönen Wienerwald die Führerscheinprüfung statt, und nachtsüber hatte es einen Viertelmeter hoch geschneit. Also kriegten wir Prüflinge eine Schneeschaufel ausge­hän­digt und mussten zuerstmal die Zufahrt zur Fahr­schul­ga­­ra­­ge freischaufeln, derweil sich der von der Bezirks­haupt­mann­schaft Sankt Pöl­ten/Land an­­ge­reis­te Führerscheinprüfer im Gasthaus Schab­schnei­der neben der Fahr­schule bei ei­nem Känn­chen Glühwein gütlich tat.

Das Fahrschulmotorrad war damals eine R68er BMW mit Seitenwa­gen, wie auf diesem Bild: im Fußraum des Seitenwagens waren zu­sätz­li­ches Kupp­lungs- und Fußbremspedal installiert, und darin saß der Fahr­leh­rer Herr Blümel im knöchellangen Ledermantel mit Flie­ger­haube und Sturm­brille (wie Abb. rechts) und assistierte uns hilfreich, als wir mit klammen Fin­gern ohne Finger­spit­zen­ge­fühl für Kupplungs- oder Brems­hebel zwei Run­den um den schneebedeckten Kirchenplatz kurvten.

Manche Fahrschüler wohnten weit auswärts in der Neulengbacher Umgegend und wurden von Herrn Fahrlehrer Blümel zur Fahrstunde von daheim abgeholt und hinterher wie­der dort ab­ge­setzt. Bei Schlechtwetter pflegte Herr Blümel das Seitenwagenverdeck zuzuklappen und blieb darin sitzen, nachdem er den Fahrschüler daheim absteigen ließ und zuvor noch an­ge­wie­sen hatte, (am Fußhebel links am Motorrad) den zweiten Gang einzuschalten: Kupp­lung und Fuß­bremse konnte er ja mit seinen Fahrlehrerpedalen betätigen, und zum Lenker mit Gas­dreh­griff brauchte er nur mit der linken Hand beim Seitenfenster rauszugreifen. So ge­schah es nicht sel­ten, wenn er mit röhrendem Motor im zweiten Gang zur Fahrschule heimwärts fuhr, dass sich ent­ge­gen­kom­menden Straßen­ver­kehrs­teil­neh­mern der im Bilde unten dar­ge­stellte An­blick bot – und wenn dann einer bei der Neu­leng­ba­cher Gen­dar­me­rie aufgeregt Mel­dung er­stat­te­te, er habe grad ein fah­rerloses Seiten­wa­gen­mo­tor­rad vor­über­­brau­­sen gesehen auf dem gar kei­ner drauf­saß, dann wusste man dort Bescheid: Ah, der Blü­mel kommt grad von der Fahr­stund’ heim.


Fahrlehrer Blümel gibt den Ghost Rider (Symbolbild)

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(Beitrag zu Kollege Dominiks *.txt-Projekt: »Fingerspitzengefühl«)

Früher war mehr Lametta

»Erntehelfer gesucht« vernimmt man derzeit allenthalben.
Anfangs der 80er-Jahre fuhren mein Bruder und ich mit unseren Mädchen im Herbst nach Südtirol zur Apfelernte, um als Erntehelfer (Äpfelklauber) zu arbeiten. In zwei Monaten verdiente dort jeder von uns Millionen. Millionen! – Lire halt. So konnte man damals mit acht Wochen Arbeit zum Millionär werden.
Das geht heutzutags nimmer. Früher war mehr Lametta.

Silvester auf der Insel

Kollege Trithemius berichtet hier, wie er vor Jahren gemeinsam mit einer Gefährtin den Jahreswechsel im eiskalten Freien auf der Insel Helgoland erlebte, das rief meine Erinnerung hervor:
Vor etlichen Jahrzehnten schipperte ich mit meinem Mädchen auf dem letzten Vaporetto des Jahres nach Torcello, einer Insel in der Lagune von Venedig, wo wir die Silvesternacht unter freiem Himmel zubrachten indem wir selbstgebackene Cannabiskekse futterten, Spumante pichelten und uns anschließend gemeinsam in einen Daunenschlafsack zwängten, aneinandergeschmiegt wie Dosensardinen und warm wie Toastbrot. Als wir am Neujahrs­vor­mit­tag erwachten, war unser Schlafsack von einer soliden Frostschicht ummantelt und am Boden festgefroren. Der Neujahrstag war klar und sonnig, aber klirrend frostig. Später erfuhren wir, dass dazumals in jener Nacht, zum Jahreswechsel 1978/1979, die kälteste Win­ter­tem­pe­ratur seit 50 Jahren, nämlich seit 1929, in Venedig geherrscht hatte.
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Guten Rutsch! allen Kolleginnen & Kollegen.

18. November – Kategorisches

Heute vor 113 Jahren wurde der Wiener Theater- und Fernsehschauspieler Guido Wieland (1906-1993) geboren.

Meine Oma selig weigerte sich zeitlebens, solch neumodernes Zeugs wie einen Fernseher beim Namen zu nennen. Radio hören hieß für sie “Radio hören“, und fernsehen hieß “Radio schauen“.

Kollege Trithemius berichtet hier über seine Frau Großmutter und deren Radio, und dass die Menschen im Werbefernsehen stets attraktiver erscheinen als in der Wirklichkeit.

Meiner Oma aber bereitete das Fernsehen eine überaus enttäuschende Erfahrung. Sie war eine glühende Verehrerin von Guido Wieland gewesen, dessen schöne klangvolle Stimme sie lediglich aus ihrem Radio kannte und die ihr so gut gefiel, dass sie sich den dazugehörigen Sprecher als den denkbar attraktivsten Mann vorstellte: wer so wunderschön sprach, der musste in ihrer Vorstellung auch ein wunderschöner Mann sein.
Als sie ihn aber dann zum erstenmal im Fernsehen sah (in einer Werbesendung für Tief­kühl­spi­nat, noch dazu), da war Guido Wieland ein relativ kleiner älterer Herr mit Brille und wenig Haaren, und meine Oma von seinem Aussehen maßlos enttäuscht – und somit das Idealbild, welches sie sich in ihrer Phantasie bis dahin von ihm ausgemalt hatte, ein für allemal ruiniert. Die Schuld für ihre bittere Enttäuschung schrieb sie dem Fernsehen zu, und fällte ihr kate­go­risches Urteil:

    »Es Radioschaun hod ka Guat’s ned.«
    (»Das Fernsehen hat nichts Gutes.«)

5. Dezember

Heute vor 90 Jahren wurde mein Vater geboren, in Haida bei Reichenberg/Deutsch­böhmen (heute Liberecký kraj/CZ), leider starb er früh. Als 16-jähriger wurde er ein­gezogen, geriet in italienische Gefangenschaft, nach Kriegsende war eine Rückkehr in die alte Heimat nimmer mög­lich. Familienfotos zeigen ihn gleichgroß wie meine Brüder und mich, alle um die 1,80. In sei­nem Wehrpass stand aber, als er dazumals ein­rückte: Größe 1,70 – ein Halbwüchsiger noch, der in den Krieg ziehen musste und erst als Erwachsener wie­der­kam, wie viele damals. Als Staatenloser, und heimatlos.
Ich habe eine Messing-Armbanduhr von ihm geerbt, die er anno sei­ner­zeit von seiner Auto-Haftpflichtversicherung für fünfzehn Jahre unfall­freies Fahren gekriegt hatte, und einen Rasier­pinsel. Den Rasier­pinsel verwende ich noch immer, er schaut nimmer ganz neu aus, aber funktio­niert noch tadellos.

Storia d’amore finita

.. aus der Reihe: »Dinge die man einmal besaß, um die einem heute nimmer leid ist« *)

Vor einigen drei Jahrzehnten besaß ich mal eine 1985er GILERA 250 NGR. Der Rotax Eintopf-Zwei­tak­ter brach­te aus lediglich einem Vier­tel­liter Hubraum immerhin 35 PS hervor, was ihr bei kaum 140 Kilo Tro­ck­en­­gewicht eine äußerst beeindruckende Be­schleu­ni­gung ver­­schaff­te: die zisch­te ab wie eine Ra­kete.

Nach zwei Saisonen aber wars mit meiner Liebe zu der temperamentvollen Italienerin vor­bei: extravaganterweise war die Drehschieberplatte zur Einlassventilsteuerung (ein sensibler Teil, häufig aus hochfestem Material wie Keramik oder Carbon) an der 250er-Gilera aus Alu­mi­nium, so batzweich wie Pasta al dente. Nachdem ich den Drehschieber binnen Zwei­jah­res­frist dreimal austauschen und zuletzt dafür gar bis Udine fahren muss­te, weil der Er­satz­teil in Österreich nimmer zu kriegen war, trennte ich mich von meiner ita­li­e­ni­schen Zwei­takt-Pri­ma­donna wieder, indem ich sie einem Bekannten verscherbelte den ich nicht be­son­ders gut lei­den konnte. Sollte der sich weiterhin mit ihren Allüren abfretten, ciao bella.
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*) (weil hieramts letzthin grad von »Zwiebackfräsen« die Rede war:)

Pepihacker

Im Kommentar zu einem Beitrag für sein Erzählprojekt »Die Läden meiner Kind­heit. Ein lite­ra­ri­scher Ausflug in eine ver­sun­ke­ne All­tagskultur« be­merk­te Kollege Trithemius die zuweilen kurios an­mu­ten­den Berufs­be­zeich­nun­gen in der ost­mit­tel­bai­ri­schen Um­­­­­gangs­sprache, eine solche ist auch der Pepihacker:

Neben dem Branntweiner Ondra in der Neulengbacher Wienerstraße hatte der Ross­fleisch­ha­cker Sturzeis sein Geschäft. Zufällig findet sich bei Kollegin Jou­lu­puk­ki eine Aufnahme zweier solcher Geschäfte in der nämlichen Kon­stel­la­tion:


Branntweiner & Pepihacker, © mit freundl. Genehmigung Kollegin Joulupukki


In den Nachkriegsjahrzehnten gab es zahlreiche Pferdefleischhacker, in Ostösterreich Pepi­ha­cker genannt. Die Be­zeich­nung kam wahrscheinlich daher, weil aus Schweif und Mähnen der ge­schlach­te­ten Tiere neben Ross­haarmatratzen und Polsterfüllungen auch kostengünstige Pe­rü­cken oder Toupets (österr.: “Pepi“) her­ge­stellt wurden. Be­mer­kens­wert, dass der Pepihacker auch Gigerer genannt wurde – eben­so wie die Pferde, welche ihm zur Verarbeitung zu­ge­führt wurden. Als Gigerer wurde also das zur Schlach­tung bestimmte Tier, gleichzeitig aber auch der Schlachter selber so be­zeich­net.
Beim Rossfleischhacker Sturzeis kauf­ten wir nicht ein, da mein Vater Holzkaufmann war und von den Bau­ern und Wald­ei­gen­tü­mern, die er beruflich besuchte, häufig Schlacht- oder Wild­fleisch heim­brachte. Aber zum Namenstag kriegten wir als Kinder 2 Schilling und durften uns was drum kau­fen, und ich lief damit zum Sturz­eis in die Wienerstraße und kaufte mir statt Naschkram eine Le­ber­käs­sem­mel. Erst wenn Du ein­mal einen heißen, dampfenden Ross­le­ber­käs direkt aus dem Back­ofen vom Pepihacker ge­ges­sen hast, weißt Du was eine De­li­ka­tesse ist.
Heutzutage werden in Österreich jähr­lich nur mehr wenige hundert Pferde ge­schlachtet und das selten gewordene Pferdefleisch, ehe­mals als Arme-Leu­te-Essen geringgeachtet, als Spe­zi­a­li­tät ver­kauft.
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(Kollege KrassNick hat hieramts mal einen launigen Vers über den Pepi­ha­cker vulgo Gigerer gereimt:)

    Für’s Pferd ist’s ein für allemal,
    was es zur Lebzeit war, egal:
    Ob Rennpferd, Ackergaul, Fiaker –
    am Ende geht’s zum Pepihacker.
    Ob Zirkusross, ob Lippizaner,
    am letzten Weg vorbei kommt kaner:
    Dem Weg, der zu der Stätte führt,
    wo Huftier wird zu Brät faschiert
    und transformiert, man ahnt’s indes,
    vom Gigerer zum Leberkäs.

(© mit freundl. Genehmigung M. Krassnig)
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Branntweiner

Ein Beitrag zum nostalgischen Erzählprojekt, welches Kollege Tri­the­mi­us in seinem Teestübchen ausgerufen hat: »Die Läden meiner Kind­heit. Ein lite­ra­ri­scher Ausflug in eine ver­sun­ke­ne All­tagskultur«
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Branntweiner, vulgo Brandineser, gab es ehemals in Wien an jeder zweiten Ecke, heutzutags gibts nur mehr ganz we­nige, die letzten werden bald ausgestorben sein. Die Branntwein­schen­ken nann­ten sich hoch­tra­bend »Tee ū. Likörstube«, die Aus­schank­li­zenz zur Brannt­wei­ner-Kon­zes­si­on war ur­sprüng­lich auf (auch selber her­ge­stell­te) Spirituosen beschränkt: offenes Bier & Wein durf­ten nicht aus­ge­schenkt, warme Speisen keine angeboten werden.
Jeder Branntweiner hatte die gleiche Vitrine mit dem gleichen Standardsortiment auf der Budel stehen: ein hundertjähriges hartgekochtes Ei, ein Packerl Manner-Schnitten, eine Dose Sar­dellen­ringerl. Keiner bestellte jemals das harte Ei oder die Sardellenringerl, wahr­schein­lich über­nahm es jeder Branntweiner mit der Geschäftsausstattung vom je­wei­li­gen Vor­gänger und der letzte nimmts ins Grab mit.
Eine populäre Wiener Branntweinstube führte seinerzeit auch »Der starke Pepi« Steinbach, ehe­mals vielfacher Weltrekordmeister im Gewichtheben.

Auch in Neulengbach gab es früher einen Branntweiner, den Ondra in der Wie­ner­straße an der Hechtlbrücke. Schräg visàvis lag (und liegt freilich immer noch dort;) der Neulengbacher Friedhof, und morgens pflegten u.a. der Totengraber und seine Gehilfen in ihren schwarzen Kitteln und Gummistiefeln beim Ondra ein­zu­keh­ren um sich für ihr Tagwerk zu stärken, und mittags und abends wie­der­um um ihr tagsüber einvernahmtes Trinkgeld hin­zu­tra­gen.

Als Kindern wurde uns manchmal, wenn unerwartet Besuch kam, aufgetragen Sodawasser zu holen. Die Erwachsenen spritzten ihren Wein damit, und auch die Kinder kriegten zu solchen Anlässen ihr Himbeerwasser mit Soda, was es für gewöhnlich nur mit Leitungswasser gab. Mit pein­li­cher Achtsamkeit, sie nicht fal­len zu lassen, trugen wir die Si­phonflasche aus Glas (Abb. rechts) über die Hechtl­brücke, um sie drüben beim Ondra gegen eine ge­füll­te ein­zu­tau­schen. (Mitt­ler­weile wurden die Gebäude samt Ge­schäfts­lo­ka­len dort pla­niert und eine breite Schneise für die Durchzugsstraße quer durch den Orts­kern ge­schla­gen, wo der Haupt­ver­kehr un­ab­läs­sig vor­über­bret­tert – heute fiele es gewiss kei­nen Eltern mehr ein, kleine Knirpse mut­ter­see­len­allein los­zu­schi­cken und sie un­be­gleitet über­que­ren zu lassen.) Das Pfand für die Sodawasserflasche kostete 10 Schilling, der Aufpreis für eine gefüllte nur einen: die Leerflasche war somit wesentlich kostbarer als der Inhalt, daher unsere ge­bo­tene Vor­sicht beim hin- und heimtragen.
Die teils recht illustren Typen, welche beim Branntweiner Ondra als Stammpublikum ver­kehr­ten, stellten für uns Kinder stets ein Faszinosum dar, und öfters spendierte uns einer von de­nen in schnapsseliger Spenderlaune eine der hundertjährigen, unter der Stanniolfolie längst weiß­lich angelaufenen kleinen Bensdorp-Scho­ko­la­den, welche in der mit Lurchfilz (© Kol­le­gin Etosha) patinierten Vitrine auf der Schank­bu­del auslagen.
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Milchgreißler und Fischtandler in Neulengbach, 60er-Jahre

Kollege Trithemius ruft in seinem Teestübchen zu einem Er­zähl­projekt auf: »Die Läden meiner Kind­heit. Ein lite­ra­ri­scher Ausflug in eine versun­ke­ne All­tagskultur«.
Da man auch hieramts gern der sentimentalen Nos­tal­gie an­heim­zu­hängen pflegt, ein Beitrag dazu:

Als Kinder wurden wir in den Sechzigerjahren von der Mutter zum Milchholen geschickt: mit den abgezählten Schilling und Groschen in der einen und der Milchkanne (Abb. rechts), welche es dazumals in jedem Haushalt eine gab, in der andern Kinderhand stiefelten wir los, um sie auf­fül­len zu lassen.
Milchgreißlerei und Fischhandlung in Neulengbach teilten sich, in ku­ri­o­ser Al­li­anz, ein ge­mein­sa­mes Geschäftslokal in der Wienerstraße: eine La­den­hälf­te war der Milch­ver­kauf, und gegen­über stand hinter seiner Budel der Fischtand­ler Herr Roth­wangl, der eine Gum­mi­schür­ze um­ge­bunden hatte und ein Kopftuch wie ein Pirat. Auf­grund der di­ver­gen­ten Feil­ge­bo­te innerhalb näm­li­cher Ge­schäfts­lo­ka­li­tät war diese von einer ein­zig­ar­ti­gen Ge­ruchs­misch­ku­lanz, so­zu­sa­gen einem ol­fak­to­ri­schen Cuvée, durch­weht.
Der Milchgreißler hieß Herr Böswarth, war verwitwet und unserer kindlichen Einschätzung gemäß min­destens hundert Jahre alt. Stets trug er einen kakaobraunen Arbeitskittel und als Kopf­be­de­ckung einen abgeschnittenen, oben zu einem Dutt verknotenen Nylon-Da­men­strumpf, welchen ge­wiss seine verblichene Gattin ihm hinterlassen hatte. Wozu er die extravagante Strumpf­haube auf­hatte, ahnten wir Kinder freilich nicht: vermutlich diente sie als hygienische Maß­nah­me, damit wäh­rend seiner Ab­füll­ma­ni­pu­la­ti­onen kein un­ver­se­hens herabfallendes Kopf­haar in die zu ver­kaufende Milch geriet.
Milchgreißler gibts heutzutags schon lang keine mehr. Wo in den Sechzigerjahren Herrn Bös­warths Milchgreißlerei nebst Herrn Rothwangls Fischhandlung war, befindet sich heute ein Na­gelstudio.
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Klothhosen

Kollege Heinrichs Beitrag gab den Anlass, sich mit vom Aussterben bedrohten Wörtern für eben­solche Kleidungsstücke zu befassen.

Erinnert sich noch wer an die Klothhosen aus der Turnstunde? Die schwarzen Turn­ho­sen mit dem unvermeidlich ausgeleierten Ein­zieh­gummi, aus Kloth, einem billigen dünnen Baum­woll­tex­til (von engl. cloth = [Tuch-]Stoff, die Bezeichnung clothes für Bekleidung leitet sich da­von her), die seinerzeit in Kombination mit Feinripp-Unterleiberl und solchen Turnpatschen die Standardad­jus­tie­rung im Turnunterricht waren, als der noch Leibeserziehung hieß.
Einige der Bauernkinder, mit denen wir zur Volksschule gingen, trugen die aber ständig, zur Turnstunde ließen sie einfach ihre Hosen runter und zogen sie hinterher wieder über die Klothhosen an. Sie trugen die schwarzen Klothhosen traditionell als Untergatti (österr. für Unterhose, vermutlich von ung. gatya = Hose), sommers anstelle kurzer Hosen ohne was darüber. Jene bau­ern­kin­der­li­chen Kloth­ho­sen pflegten, so wurde gemunkelt, grundsätzlich niemals gewechselt, son­dern lediglich bis­weilen ge­wen­det zu werden, was ihnen im Lauf der Saison beidseitig eine rustikale Patina ver­lieh.
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Da fällt mir überdies der zünftige Bauernschwank mit der Unterhose ein:
Ein Bauer fährt in die Stadt, um sich eine gute Hose zu kaufen. Als er seine Hose auszieht, um die neue anzuprobieren, bemerkt der Verkäufer, dass er darunter keine Unterhose anhat. Ob er nicht eine kaufen wolle, rät er dem Bauern, aber der kennt sowas nicht: Unterhose? fragt er, wofür solle sowas gut sein. Der Verkäufer erklärt ihm, so eine Unterhose trage man weil sie erstens warm sei, und zweitens wäre das eben hygienisch. Der Bauer lässt sich überreden, er kauft eine und behält sie gleich an.
Als er heimfährt, überkommt ihn die Notdurft, hinterm Gebüsch lässt er die Hose runter und hockt sich hin, um sein Geschäft zu verrichten. Als er fertig ist und hinter sich blickt, von seinem verrichteten Geschäft aber nichts zu erblicken ist, da fällt ihm die Unterhose ein und er denkt sich beeindruckt: Allerhand, des is wirklich hygienisch.
Und als er aufsteht und seine Hose wieder hochgezogen hat, stellt er überrascht mit Behagen fest: Und warm is fei a!
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(Beitrag zum alphabetischen Schreibprojekt von Kollege Wortmischer.)

Tante Jetta in der Kombinesch

Kollege Heinrich schreibt hier über vom Aussterben bedrohte Wörter, namentlich für ein dem Aussterben anheimgefallenes Bekleidungsstück.
Ein solches ist u.a. auch die im Österreichischen so genannte Kombinesch [mit Betonung auf dem e, »Kombinähsch«].

Als Kinder wohnten wir in einem Mehrparteienhaus. Im Garten stand eine Klopfstange, es gab nur einen gemeinschaftlichen Teppichpracker im Haus, den sich die Mietparteien jeweils un­tereinander aus­liehen. Besagter Teppichpracker fand im Bedarfsfall auch Verwendung zur Maß­re­ge­lung un­ar­ti­ger Kinder, je nach Schwere des Vergehens wurde damit dem min­der­jäh­ri­gen De­lin­quen­ten in mütterlicher Strenge eine zuvor festgelegte Anzahl von Schlägen auf den Hintern verabreicht. Dies tat nicht allzusehr weh und war nicht weiter schlimm, sondern ent­sprach halt den traditionellen Ge­pflo­genheiten land­läu­fi­ger Kindererziehung.
Schlimm für uns Kinder war hingegen die damit einhergehende Demütigung, wenn sich der Tep­pich­pracker grad in Verwahrung durch andere Hausparteien befand und wir geschickt wurden, ihn auszuleihen: freilich wussten die stets, welcher Verwendungszweck diesem also zugedacht war, wenn wir mit dem Ansuchen um Herausgabe desselben auf der Matte standen obwohl draußen augenscheinlich kein Teppich über der Klopfstange hing. »Was hast’n leicht an­g’­stellt?« prackte die unausweichliche Frage erbarmungslos auf den kleinen Sünder her­nie­der, und darauf Ant­wort geben zu müssen empfanden wir als über die Maßen schmachvoll. Der noch zu er­war­ten­den körperlichen Züch­ti­gung kam in sol­chen Mo­men­ten nur mehr ge­rin­ge Bedeutung zu.
Jetzt aber zum Thema: einmal hatte ich irgendwas angestellt und wurde zum Tep­pich­pracker­holen zu Tante Jetta geschickt, einer Frauensperson in mittleren Lebensjahren, welche unter uns wohnte und zwar keine Tante war, aber von uns so genannt wurde. Tante Jetta pflegte zur warmen Jah­reszeit in Haus und Gar­ten ganz ungeniert le­dig­lich in Kom­bi­nesch bekleidet zugange zu sein, kein ungewohnter Anblick. Als ich damals aber bei ihr anläutete, da hörte ich von drinnen »Momenterl, ich muss mir erst was anziehen,« und als sie die Tür öffnete, da hatte sie einen Büstenhalter angezogen, näm­lich über der Kombinesch, die hatte sie darunter an. Nun habe ich von jenem bizarren Anblick dazumals durchaus keine Kind­heitsneurose oder gar Trauma ab­gekriegt, aber unvergessen ist er mir ge­blie­ben: Tante Jetta, wie sie ihren Büstenhalter sozusagen als Oberbekleidung über der Kom­bi­nesch trug – wohingegen ich mich an ihr Gesicht kaum mehr erinnere.
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(Beitrag zum alphabetischen Schreibprojekt von Kollege Wortmischer.)

19. März

Heute vor 110 Jahren fand das erste Slalom­rennen der Schigeschichte statt, nämlich am Muckenkogel bei Lilienfeld, Niederösterreich. Veranstalter war Herr Mathias Zdarsky, Er­finder der sogenannten »Lilienfelder Skilauf-Technik« und damit des al­pi­nen Schilaufs.
Hätten Sie gewusst, dass der alpine Schisport im schönen Traisental, mitten im niederösterreichi­schen Most­viertel erfunden wurde?
Lilienfeld wurde im folgenden zu einem beliebten Win­ter­sport­gebiet, als Kinder fuhren wir im Winter sonn­tags mit den Eltern öfters zum Schifahren auf den Mu­cken­­kogel.

Wo ist der Pepi?

Mein Vater kam als junger Spund nach Österreich und arbeitete als Lehrling in einem Säge­werk. Jeden Montagmorgen wurde in der Küche der Arbeiterunterkunft ein riesen Topf Malz­kaffee zu­be­rei­tet, der die ganze Woche über auf dem Herd stehenblieb und täglich neu auf­ge­wärmt wurde, aus dem sich die Ar­bei­ter mit einem Schöpflöffel ihre Häferl anfüllten. Einer der Arbeiter besaß einen Käfigvogel namens Pepi, der nach Joseph Goebbels benannt war, weil er seinen Schnabel immer so weit aufriss. Eines Montags war der Pepi aus seinem Käfig aus­ge­flogen und blieb verschwunden. Erst als gegen Ende der Woche der Malzkaffee am Herd zur Neige ging, fischte einer mit dem Schöpf­löffel den toten Pepi aus dem Kaffeetopf, wo­rin er sich seit Montag befunden hatte.

Badetag

Am Samstagabend vor 50 Jahren setzt die Mutter den großen Wäschetopf mit Wasser auf den Herd. Das Backrohr steht offen, damit es in der Küche warm wird. Wenn das Wasser heiß ist, wird die Volksbadewanne aus der Abstellkammer hervorgeholt und in der Küche aufgestellt:


Wenn die Kinder in der Wanne zu hohe Wellen machen, gibts ein Gepritschel auf dem Küchenboden und Ärger mit der Mutter. Anschließend werden die Kinder aus der Wanne gefischt & zum Trocknen aufge­hängt.

Fliegender Ziegelstein

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (III)

Als Sporttourer ist die legendäre BMW K 1100 RS bis heute unübertroffen: liegender Reihen-Vierzylinder-16-Ventil-Einspritzer (»fliegender Ziegelstein«*), Trockengewicht 250 kg, ungedrosselt an die 120 PS, Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3,9 sek., ABS serienmäßig, verstellbares Sportfederbein nachgerüstet. (Zum Pizzaausliefern allerdings bissel übermotorisiert.)
Meine Tochter fuhr leidenschaftlich gern mit, und als sie einmal einen dieser Goldwing-Typen sah, der den Straßenverkehr mit seiner Bord-Stereoanlage aufmischte, fragte sie: »Wieso haben wir kein Radio am Motorrad. Und CD-Player.« – Na weil das grober Unfug ist, sag ich, selber hört man unterm Helm von der Musik eh nix und dem Rest der Welt geht man damit auf die Nerven. Aber: Kindes Wunsch ist Vater Befehl, also installierte ich im Topcase eine Radio-CD-Anlage mit einem Satz 30-Watt-Boxen und meterlanger Antenne, und fortan wurde die Umwelt mit Fräulein Tochters Lieblings-CDs beschallt, wenn sie mitfuhr.


Bedauerlicherweise schoss mich eines Morgens ein unachtsamer Autofahrer von rück­lings ab, als ich grad vor einer roten Ampel stand, was mich auf seiner Kühlerhaube landen ließ und meine schöne BMW unter einem Autobus der Linie 13A, welcher von rechts kam und grad grün hatte. Eine herzhafte Steißbeinprellung bescherte mir zwar eine Woche auf dem Bauch schlafen und im Stehen essen sowie ein saftiges Schmer­zensgeld von der Versicherung, aber die BMW erwischte es leider schlimmer, die war hin. Der Anprall war so heftig gewesen, dass die Hinterradfelge und sogar die Kardan­welle verbogen waren, und der Vorderradgabel hatte der Bus den Rest besorgt. Das Ende einer Legende, um das gute Stück ist mir heute noch leid.

Kinderfoto-Content ..

.. gehört sich schließlich für eine anständige Brieftasche, nicht­wahr, und für ein anständiges Blog.
Sieht die Trafikantin gestern beim Zahlen das Kinderfoto in meiner Brieftasche, und sagt: “Ihre Tochter? Mei, ist die lieb. Kann ichs sehen?“ – Stolzer Papa hält Brieftaschenfoto unter Trafikantinnennase, sie fragt: “Wie alt ist sie denn?“
“Zweiundzwanzig,“ sag ich – und sie: “Schon bissel älteres Foto.“
Äh, stimmt eigentlich, schon länger nimmer upgedatet. Da sieht man, wie lang ich die Brieftasche schon hab.

Sunburst, halbakustisch

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (II)

Anfangs der 80er-Jahre besaß ich einen halbakustischen E-Bass, ein un­de­fi­nierbares Fabrikat mit klassischen F-Löchern und schicker Sunburst-Lackierung. Der Hals war verzogen, und ich ersetzte ihn durch einen neuen Ibanez-Hals, den ich zurechtfeilte und in den Korpus einpasste. Ein Unikat von erlesener Schönheit, und nahezu unspielbar.
Wir waren eine eher unbedeutende Kellerband, aber immerhin ver­schaffte uns eine Agentin eine zweiwöchige Tournee mit zehn Auf­tritten in der Schweiz, und ein Konzert in der Zürcher Roten Fabrik kriegte sogar hervorragende Kritiken in der Lokalpresse. Ich war da­mals zum erstenmal in der Schweiz und stellte über­rascht fest, dass die Schweizer uns offenbar für eine Art exotische Hinterwäldler hiel­ten und ihrerseits überrascht waren, dass den Österreichern bereits der elektrische Strom bekannt war und wir mit Elektro-Instru­men­ten Musik machten.
Kurz danach ruinierte ich mir einen Nerv am Handgelenk und konnte deswegen nimmer spielen. Der E-Bass verstaubte über die Jahre in einer Ecke, und irgendwann verscherbelte ich ihn samt Steelphon-Röh­ren­ver­stärker zum Liebhaberpreis. Heute ist mir um das schöne alte Stück leid, wenn ichs noch hätte, würde ich es an der Wohn­zimmerwand überm Sofa aufhängen.

Alter Schwede

.. aus der Reihe: “Dinge die man einmal besaß, um die einem heute noch leid ist“ (I)

Gestern sah ich wieder so ein Schweden-Möbel fahren, noch mit original schwarzen Kenn­zei­chen­tafeln, in alter Grandezza. Erich Honecker hatte so einen (mit Velours­sitzen), und ge­nau­so einen hatte ich auch mal, aber mit Ledersitzen:
Volvo 764 GLE Bj.’82 (2,8 l Sechszylinder-Einspritzer 156 PS, Direktionsfahrzeug chauffeur­gepflegt, Kilometerstand 180.000) – Auto gesehen und gekauft, ein echter Glücks­treffer: 1988 angeschafft um 60.000,- Schilling und weitere 100.000 Kilometer damit zurückgelegt, ohne Probleme. Fünf Jahre später Frontalschaden, abgeschossen von juvenilem Golf GTI-Piloten – Schadenssumme überstieg Zeitwert, somit leider als Totalschaden zu bewerten. Was für ein Jammer. Um das Auto ist mir heute noch leid.


(Sitze & Rückbank aus noblem schwedischen Rindsleder kriegten unten Sockelgestelle dran­geschweißt und stehen bis heute bei meinem Schwager im Wohnzimmer als Sitz­garnitur. Die 15-Zoll-Alufelgen hab ich noch immer im Keller liegen.)

Heute reproducieren wir eine aviatische Jupeculottin

»Die Debatten über die „jupe≈culotte“ füllen jetzt die Spalten der Blätter. Man spricht von der neuen Mode wie von einer „europäischen Gefahr“, und tatsächlich ist es in verschiedenen Städten, wie Paris, Madrid, oder Turin, zu regelrechten Straßendemon­strationen gekommen, als sich Damen im „Höschenrock“ ins Freie wagten.«
(Allgemeine Automobil-Zeitung, 1911)

12. August – Der Neulengbacher Bahnhofsstreit

Heute vor 150 Jahren wurde die Eisenbahnstrecke von Wien nach Salzburg–Reichs­grenze fei­er­lich dem Verkehr übergeben.
Proteste und Lobby-Interessen für & wider einen Bahnhofsbau gab es schon lange vor Stutt­gart 21, in Neulengbach an der Westbahn etwa schon seinerzeit unterm Kaiser.
Warum beim Bau der Westbahn durch die k.k. privilegierte Kaiserin-Elisabeth-Eisen­bahn­ge­sellschaft der Neulengbacher Bahnhof nicht in Neulengbach errichtet wurde, obwohl die Strecke direkt durch den Ort führt, sondern weit außerhalb auf einem Acker mitten in der Pampa, lässt sich heute nimmer feststellen. Am 12. August Anno 1860 wurde die Strecke Wien–Salzburg er­öff­net, und fast ein Vierteljahrhundert lang rauschten die Züge durch Neu­leng­bach hin­durch und blieben erst kilometerweit dahinter stehen. Und ebenso lang pilgerten die Neu­leng­bacher Honoratioren nach Wien zum Kaiser und antichambrierten zugunsten der nachträglichen Errichtung einer Haltestelle im Ortszentrum, und die In­ter­es­sen­ver­tre­tung der Neulengbacher Lohnfuhrwerker tat desgleichen, um dies zu verhindern: dass der Bahnhof so weit außerhalb lag, machte den erforderlichen Shuttle-Verkehr für die Fuhr­wer­ker­lobby zu einem höchlichst einträglichen Geschäft. Anno 1882 wurde schließlich eine Haltestelle Neu­leng­bach-Markt im Ortszentrum errichtet, nachdem es bis dahin zu eif­rigen Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Zer­würf­nis­sen zwischen den gegnerischen Inter­­essen­par­tei­en ge­­kom­men war.
Wasserwerfer kamen dazumals noch keine zum Einsatz, die wurden erst später erfunden.

Wir blättern im Fotoalbum


(Oma, Opa & die Brut der frühen Jahre)


Wie aus einer aktuellen Vergleichsstudie hervorgeht, liegt bei Gruppenaufnahmen mit mehr als acht abgebildeten Personen die statistische Wahrscheinlichkeit bei nahezu 100 Prozent, dass mindestens einer grad Grimassen macht.

17. Juli

Phoebe Snow hat heute Geburtstag, kennt die heutzutags eigentlich noch irgendwer? Mit der Ver­öffentlichung ihres Debut-Albums 1974 als 22-Jährige galt sie seinerzeit als große Ent­­deckung und spielte bereits mit legendären Jazz-Größen zusammen, hier mit dem Saxo­pho­­nisten Stan Getz (oder Zoot Sims?, bin mir nicht sicher):
Vielleicht nimmer die Art Musik, für die sich heute noch jedermann begeistert – aber, glaubt mir Leute: der perfekte Soundtrack, um damals in den 70er-Jahren dazu paar Räu­cher­stäb­­chen anzuzünden & mit einem schönen sanftmütigen indische Fußkett­chen tragenden nach Patschuli riechenden Mädel beisammenzuliegen.